Das gruene Gewissen
sich in ihrem archaischen Charakter wie Erinnerungsstücke an die Zeit der Industrialisierung aus. Wenn wir heute über das Leben mit der Technik sprechen, sehen wir Eingriffe. Immer schwingt eine ökologische Komponente mit. „Der radikale Abbau von Erdöl, Kohle und Erzen kann nicht Wirtschaft genannt werden“, heißt es etwa bei Friedrich Georg Jünger, „so rational immer der Abbau betrieben werden mag.“ 111 Sich die Erde untertan zu machen, der biblische Auftrag, die Natur zu bezwingen, ist in Deutschland nicht mehr präsent. Ende 2018 wird die letzte Tonne Steinkohle in Deutschland gefördert sein. Die Folgen für die Umwelt sind dabei nicht allein auf das begrenzt, was Tagebaue landschaftlich hinterlassen haben. Das ganze Ruhrgebiet ist unterhöhlt wie ein Labyrinth. Jedes Jahr wird viel Geld ausgegeben, um das Grubenwasser abzupumpen, das eisen- und salzhaltig ist und sich mit dem Grundwasser zu vermischen droht. Es sind Ewigkeitslasten, die der Steinkohlebergbau den nächsten Generationen aufbürdet.
Die Zeit der Technik – und die der Natur
Martin Z. Schröder und seine „Druckerey“ und die Zechen des Ruhrgebiets sind nur zwei Beispiele. Seitdem es die Technik gibt, gibt es die Faszination für das, was an Technischem nicht mehr existiert oder mit der Patina der Geschichte überzogen ist. Bei mechanischen Uhren oder Automobilen nicht anders als bei Sextanten oder Waagen, alten Büchern und Fotografien öffnen wir das Fenster in eine nicht mehr rückholbare Zeit. Anders als die Zeit der Natur, die zyklisch ist und uns in Gestalt der Jahreszeiten immer wieder aufs Neue quasi verjüngt gegenübertritt, ist die Zeit der Technik eine lineare – und genau das wissen und fürchten wir.Jeder Fortschritt, jede Entwicklung baut auf einer anderen auf und vervollkommnet diese in eine unumkehrbare Richtung. Dieses Telos führt zu einer Dynamik der Bewegung.
Aus diesem Grund gibt es über die individuelle Beziehung zu Antiquitäten, alten Schallplatten oder dem ersten Taschenmesser hinaus eine kollektive Erinnerung, die anhand von alten Industrieanlagen und den mit ihnen verbundenen Schicksalen hervortritt. Doch es ist weniger eine Sozialromantik oder falsche Poesie der Arbeit, die hinter dieser Faszination steckt, auch nicht der Blick auf Architektur- und Technikgeschichte im akademischen Sinne. Jede alte, jede zerstörte Technik trägt ein spontan erfassbares Verfallsmotiv in sich, das bereits die Maler der romantischen Epoche bei ihrem Blick auf Ruinen im Wald begeisterte: Die Technik – versinnbildlicht durch ein marodes Bauwerk, durch das sich blühende Triebe von Bäumen, Wurzeln, Moose und Gräser ziehen und das die Witterung immer weiter auflöst – tritt wieder ein in den Zyklus des Lebens, bis sie irgendwann ganz in ihm aufgegangen ist.
Diese unterschiedliche Dimension der Zeit hat gerade nach historischen Zäsuren die Dichtung immer wieder angeregt. Die Suche nach einer verlorenen Zeit und der Wunsch nach einem langsameren Verfließen waren da längst zu einem Topos der Moderne geworden. Gerade jene Dichtung, die sich programmatisch mit der Natur befasste, hat dabei gezielt Bezüge zwischen Mensch und Natur hergestellt. Ihrer Betonung der Naturzyklen lag die Vorstellung zugrunde, dass Geburt, Leben und Tod Bestandteile ein und desselben Kreislaufes seien, der keine Gegensätze kennt, in dem sich alles bedingt und zueinander fügt. Der Mensch war hier kein Außenstehender, sondern integraler Bestandteil. Der menschliche Daseins-Sinn lag in der Überwindung der Diskrepanz zwischen Natur und Mensch. Gleichzeitig war die Natur das Andere und irreversibel Entfernte.
Entsprechende Ansichten waren in Deutschland zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts durch die sogenannte Mutterrechts-Lehre Johan Jakob Bachofens verbreitet. 112 Der in Alt-Langerwisch bei Potsdam als Kind beheimatete Lyriker und spätere Gründungschefredakteur der noch heute existierenden Zeitschrift Sinn und Form, Peter Huchel, hat diese Auffassung einer „Mutter Natur“, von der der Volksmund spricht, auch durch seine Anleihen bei slawischen Mythologemen so konsequent wie kaum ein anderer vertreten. Die Personifizierung der Natur, die in Gestalt weiblicher Figuren wie Mägden und Alten erfolgte, entspricht dabei einer in der Mythengeschichte immer wieder anzutreffenden Praxis. Das bereits zitierte „urfrühe Dunkel“ oder die „urfrühe Mutter“ im Gedicht Eine Herbstnacht reihen sich in seiner Poetik sowohl vor als auch nach
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