Das gruene Gewissen
geht fehl zu glauben, dass allein alte Maschinen die Qualität mitbrächten – so wie allein alte, über ein oder zwei Jahrhunderte gespielte Musikinstrumente etwa der Cremoneser Schule im Ruf stehen, einen besonderen Klang zu haben. Die Schneidemaschine sei eine moderne, weil sie besser, leichter und schneller schneide als eine alte, sagt Schröder. Die Druckmaschinen hingegen gibt es nicht in moderner Ausführung. Der Buchdruck erfährt durch sie fraglos eine ganz eigene Qualität: Die leichte Unregelmäßigkeit im Schriftbild durch die unterschiedlich abgenutzten Lettern und die leichte Prägung der Schrift, aber auch die Oberfläche eines Naturpapiers geben einer solchen Drucksache mehr Wärme und Individualität – einen unverwechselbaren, authentischen Charakter, der mit moderner Vervielfältigungstechnik nicht zu erzielen ist. „Es geht also nicht um das Alte an sich, sondern eine anders nicht zu erreichende Anmutung der Drucksachen.“
Kleine Fehler: Das Authentische in Technik und Natur
Dass die Technik nicht nur Begeisterung für das Ergebnis hervorrufen kann, weil diese durch kleinste Abweichungen ein Ausdruck von fast naturhafter Individualität ist, sondern ihrem Benutzer regelrecht ans Herz wächst: Diese industrieromantisch anmutende Vorstellung verbindet sich heute bestenfalls noch mit kleinen Handwerksbetrieben wie diesen, Uhrmachern, Goldschmieden, Instrumentenbauern. In den gesellschaftlichen Debatten über neue Technologien oder Infrastrukturen ist sie nicht auffindbar. „Technik“: Das ist für die meisten Menschen digitale Technik oder Großtechnik, Flugverkehr und Schienentechnik, Infrastrukturen und Datenautobahnen, vielleicht sogar Chemie oder Pharmazie. Nicht jedoch stählerne Mechanik, wie ich sie auch im Innern des Kernkraftwerks in Philippsburg gesehen hatte, oder Handwerk, dem der in Deutschland populäre US-Intellektuelle Richard Sennett vor wenigen Jahren ein Buch widmete. Es steht bei Martin Z. Schröder im Regal, der selbst regelmäßig in seinem Druckerey-Blog schreibt und Fotos veröffentlicht.
Sennetts Gedanken sind der Manufactum-Gesellschaft und der neuen städtischen Begeisterung für das Einfache und Selbstgemachte wie auf den Leib geschrieben. Dokumentieren sie doch die Indienstnahme einer vormodernen Technik als Ausweg aus der abhandengekommenen Befriedigung durch menschliche Arbeit im digitalen Zeitalter. Die Technik des Einfachen und Handwerklichen ist nicht nur schön und manifest wie eine Schneidemaschine für gefrorenen Parma- oder Serranoschinken: Sie ist umgeben vom Gefühl der Individualität, während die industrielle Automatisierung mit Fehlerlosigkeit und damit auch Austauschbarkeit gleichgesetzt wird.
Es ist genau dieser schmale Grat zwischen Gefühl und Verstand, der auch für das Verlangen nach einer anderen Technik prägend ist, wenngleich es zu den offensichtlichen ästhetischen Mängeln der Welt von Manufactum gehört, dass die Produkte eben nicht die kleinen Schmisse und Narben im Laufe der Zeit bekommen haben, die ihnen Unverwechselbarkeit und Aura geben, sondern Kinder der technischen Reproduzierbarkeit sind: makellos und gleich. Anders als in einem Antiquitätenladen zahlt man hier nicht für die gelebte Geschichte, sondern den Schein der Vergangenheit, der brandneu ist.
Das Versprechen von Firmen wie Manufactum, das heute zur Otto-Gruppe gehört, liegt gleichwohl in der Illusion, dass man der modernen Technik, die noch dazu billig ist und für jedermann verfügbar, entgehen kann, indem man wertbetonte Produkte erwirbt. Sie soll die Aura einer vortechnischen Zeit umgeben, als die Dinge noch einen angemessenen Preis hatten und ihre Erzeuger von ihnen leben konnten wie die netten Biobauern mit ihren Kindern in den Katalogen meines Marktes um die Ecke.
Die Idee, die dahinter steckt, ist eine alte: die Uhr zurückdrehen zu können in eine Zeit, die uns deshalb besser erscheint, weil sie vergangen ist und uns nichts abverlangt als das Interesse für das Schöne und Geschichtsträchtige. Aus wenig anderen Gründen erfreuen sich technische Museen wie das Deutsche Museum in München eines unverminderten Besucherinteresses, auch bei solchen Menschen, die mit der zeitgenössischen Technik Berührungsprobleme haben. Denn die ist nicht anders als die zeitgenössische Kunst ein Spiegelbild einer laufenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Im nostalgischen Betrachten drückt sich hingegen die Erinnerung an bereits bewältigte Zeitepochen aus, während
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