Das gruene Gewissen
Romantik als auch in der neuen deutschen Naturdichtung des 20. Jahrhunderts Anhänger fand, schreibt denn auch, dass sich der Schöpfungscharakter der Welt nirgendwo deutlicher manifestieren würde, „dann man findet hierinnen der Erden/ so wol aller Metalle vnd seine Eigenschaft/ so wol deß Gestirnes/ vnd den vrstand der Elementen.“ 110
Die Technik schützen – wie die Natur
Auch ohne die Kenntnis solcher Geschichten haben mich Erinnerungsorte des Bergbaus als Kind fasziniert. Allein die Vorstellung, in einen Berg hinabzusteigen und Schätze wie Gold und Silber zu finden, übertraf die Begeisterung für das Herumstöbern in alten Ruinen und Kellern bei Weitem. Städte wie Goslar oder das Bergwerk Rammelsberg bei Bad Harzburg, das zum Weltkulturerbe gehört und in dem man nicht nur nachempfinden kann, welchen Strapazen die Menschen in dem unterirdischen Labyrinth ausgesetzt waren, sondern wie man sich tief im Berg der Natur ausgeliefert fühlen musste, lagen damals hinter der Grenze. Aber wir fuhren in den Ost-Harz und entlang der Abraumhalden hinter Halle, wo man Kalisalze gewann. Jeder Dritte unserer Bekannten dort hatte damals mit dem Kalibergbau zu tun gehabt, bevor dieser in den achtziger Jahren auch im Osten einem schleichenden Strukturwandel wich.
Ich erinnere mich an die Vitrinen im Flur, in denen milchfarbene, aber auch violette und rote Kristalle lagen. Die Farben und Formen übten eine starke Anziehung auf mich aus. Nach der Wende stieg ich ins Auto und fuhr wieder dorthin, und dann weiter in die ehemaligen Bergbau- und Industriegebiete in Nordrhein-Westfalen, den Duisburger Norden, Gelsenkirchen, auch Dortmund, wo die Zechen „Minister Stein“, „Admiral“, „Germania“ oder „Preußen 2“ hießen. Kohle und Stahl, die Herzkammer des Ruhrgebiets, waren da schon Geschichte. So, wie man die Natur historisiert und schützt, wurden auch Zechen und Kokereien unter Schutz gestellt, die Zeche Zollverein zum Weltkulturerbe gemacht.
Ich sah die Überbleibsel einer Stahldynastie, die Hoesch hieß. Und die verblichenen Ladenfassaden der Fünfzigerjahre-Häuser, die von Siegern und Verlierern ganz anders kündeten als die Debatten um die Kosten der Wiedervereinigung, in deren Schattensie standen. Die Zeit hatte sich in das Antlitz der Straßen und in die alten Kneipenschilder der Kronen- und Union-Brauerei eingebrannt. Dann fuhr ich weiter nach Essen, in den Süden, zur Villa Hügel und dem Baldeneysee, der kein See, sondern ein aufgestautes Stück der Ruhr ist.
Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt: So und ähnlich haben viele melancholische Hommagen an eine untergegangene Industrieepoche begonnen. Der Stoff, aus dem diese Nostalgie gemacht wird, heißt Arbeit und Entbehrungsreichtum, der kollektiv erfahren wurde. Man könnte noch weiter gehen und sagen, dass das Sich-Abarbeiten an der Natur zu den letzten großen zivilisatorischen Erfahrungen einer Generation gehörte, die den alten Gedanken verinnerlicht hatte, die eigene soziale Lage mit Hilfe der Technik überwinden zu können. Diese Erfahrung war deshalb besonders stark, weil sie viele Familien über die Arbeit hinaus als Bewohner von Siedlungen verband. Der Bergbau bezog Familien generationsübergreifend in die Tradierung der Vergangenheit ein. Anders als der Fischfang und die Seefahrt, vor allem anders als die Landwirtschaft, stellte der Bergbau, obwohl er dank einer sukzessiven technischen Eindämmung von Gefahren sicherer geworden war, letztlich immer noch eine Form von selbst gewählter individueller Gefährdung dar, über die sich beim Abendbrot sprechen ließ.
Das Bezwingen der Elemente, das, wie Martin Heidegger es in seiner hermetischen Sprache ausdrückte, „Stellen“ der Natur und „Entbergen“ ihrer verborgenen Schätze mit Hilfe der Technik, ist hier in einer vergleichsweise ursprünglichen Form erhalten geblieben. Bis zur Gegenwart hat der Bergbau dieses Credo durch Bilder nicht ablegen können, die wir von Grubenunglücken in China oder Russland oder aber jener legendären Befreiungsaktion von 33 verschütteten chilenischen Kumpeln im Jahr 2010 in uns aufgenommen haben. Esperanza , also Hoffnung, tauften die Menschen das Zeltlager, in dem sie wochenlang oberhalb der Mine San José ausharrten, wo Angehörige in 700 Metern Tiefe gefangen waren.Per Videobotschaft sendeten sie ein Lebenszeichen an die Außenwelt. Die moderne Technik half, den Glauben an die Rettung wachzuhalten.
Diese Bilder vom anderen Ende der Welt nehmen
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