das gutenberg-komplott
zu, der die Feder neben sich auf den Tisch warf. Erbachs Arbeitszi m mer lag im Dämmerlicht. Eine Skulptur des heiligen Martin sah Steininger nur als Schattenriss.
»Ich kenne seinen Vater gut. Die Familie hat lange in Italien gelebt, wo Thomas geboren ist und die ersten Jahre seines L e bens verbracht hat. Er war ein Kind mit außerordentlichen B e gabungen; er hat gezeichnet und mit fünfzehn Jahren seltsame Maschinen konstruiert, kleine Wunderwerke. Beim Studium gehörte er zu den besten seines Jahrgangs. Er ist fleißig und hat Ausdauer. Er ist keiner, der sein Ziel aus den Augen verliert.«
»Mag ja alles sein!« Der Kurfürst schlug mit der Hand auf den Tisch. »Aber hier wird er ins kalte Wasser geworfen. Und wenn er nicht schwimmt, wird er absaufen. Er ist ein Schö n geist. Wir brauchen einen Mann, der hart durchgreift!«
Steininger kam noch einen Schritt näher. Sein Blick fiel auf Sankt Martins Schwert, das den Mantel des Heiligen in zwei Hälften trennte. »Das wird sich ändern.«
»Du setzt dich sehr für ihn ein. Also gut, er soll seine Chance haben. Vielleicht täusche ich mich. Ich erwarte von dir, Ste i ninger, dass du ihm auf die Finger siehst. Man wird versuchen, ihn über den Tisch zu ziehen. Wenn er sich nicht durchsetzt, muss ich handeln.«
Thomas saß in seiner neuen Amtsstube und dachte an Italien. Das Gerichtsgebäude war vollständig aus Stein gemauert, ebe n so wie der angrenzende Bischofssitz. Der Raum war nicht g e heizt und die Fenster halb blind. Sein Zimmer lag zum Höfchen hin, aber nur wenn er nahe an die Glasscheiben herantrat, kon n te er erkennen, was dort vor sich ging. Am Höfchen gab es eine Metzgerei, einen Bäcker, eine Wechselstube und andere Läden. Schausteller, Bettler und fahrendes Volk gingen dort bei bess e rem Wetter ihren Geschäften nach. Auch den Markt und die Münze konnte Thomas verschwommen sehen.
Er dachte an früher. Die ersten Jahre seiner Kindheit hatte er auf Sizilien verbracht. Sein Vater handelte mit orientalischen Gewürzen. Zu seinen frühesten Erinnerungen zählten das weiß getünchte Haus mit den blauen Fensterläden, das sie bewoh n ten, und der Blick auf den Hafen. Wenn die Sonne auf die Wände fiel, musste man die Augen zusammenkneifen. Häufig war er mit seinem Vater beim Hafen gewesen. Die Gewürze, der Wind vom Meer, der die Lippen salzig schmecken ließ, die Innereien der Fische, die im Wasser schwammen. Später zog die Familie nach Köln. Am schwersten fiel der Wechsel ins nördliche Klima seiner Mutter. Von ihr glaubte er seine mus i sche Begabung zu haben.
Auch in Köln begleitete er seinen Vater zum Anlegeplatz der Schiffe. Er ging zu den Dominikanern auf die Schule. Jahre sp ä ter kehrte er nach Italien zurück. Aus nächster Nähe erlebte er die Anfänge der Renaissance; Künstler, Wissenschaftler und Architekten entdeckten das antike Erbe und schufen ein neues Bild vom Menschen. Er besuchte Florenz und sah die Kuppel des Doms von Brunelleschi und Donatellos David. Sein eigenes Interesse an der Malerei wuchs, und er verbrachte mehr Zeit mit Zeichnen als mit dem Studium der Gesetze …
Bücher und Schriftstücke füllten die Regale und Schränke an den Wänden der Amtsstube; das ganze Mobiliar bestand aus einem Tisch, einem Pult und zwei Stühlen. Leichter Schimme l geruch hing in der Luft. Quälende Selbstzweifel plagten Th o mas. Das Gespräch mit dem Kurfürsten – es belastete ihn noch immer. Er ging im Zimmer auf und ab. Bisher führte sein beru f licher Weg geradewegs nach oben. Dabei war ihm vieles in den Schoß gefallen. Nur einmal war er ernsthaft geprüft worden, und er hatte die Prüfung, nach seinem eigenen Urteil, nicht b e standen. Die Erinnerung daran wollte nicht verblassen …
Thomas war nach Abschluss seines Studiums nach Köln z u rückgekehrt, wo ihm der Name seines Vaters alle Türen öffnete. Er wohnte im Haus der Eltern und erhielt eine Stelle am G e richt. Er trug keine unmittelbare Verantwortung, sondern bere i tete Fälle für den Gewaltrichter vor, der ein erfahrener Mann war und mit dem er sich gut verstand. Sein Vorgesetzter Al b recht Brand verhielt sich ihm gegenüber wie ein zweiter Vater. Nach zwei Jahren stieg Thomas auf und wurde zum Stellvertr e ter des Richters befördert. Das brachte ihm von verschiedenen Seiten Missgunst ein, aber sein Gönner schützte ihn. Da der Stellvertreter meistens im Hintergrund blieb, trug Thomas zwar offiziell größere Verantwortung als vorher, aber
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