das gutenberg-komplott
Fenster schaute auf den Hof, und außer einem Bett und einer Truhe befanden sich in dem Raum keine Möbelstü c ke.
Der Konflikt mit ihrem Vater erinnerte sie an ihre Schwester Klara. Früher hatte man sie häufig miteinander verwechselt. Kl a ra lebte heute außerhalb der Stadtmauer, in einem ehemal i gen Köhlerhaus. Köhler galten als »unehrliche Leute«. Kathar i na war die Einzige aus der Familie, die sich gelegentlich mit Klara traf. Sie hatte ihre Schwester seit mehr als einer Woche nicht gesehen.
Die Kinder hatten heute fasziniert von der Räuberbande g e sprochen, die Buschs Leuten entwischt war. Katharina b e schloss , Klara in ihrem Haus vor der Stadt zu besuchen. Sie machte sich auf den Weg, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Ihr Vater war sicher schon wieder im Kaufhaus. Katharina eri n nerte sich an Gesprächsfetzen, die sie in den letzten Tagen au f geschnappt hatte. Reisende waren in der Nähe von Mainz übe r fallen und ausgeraubt worden. Sicher wäre es klüger gewesen, zu Hause zu bleiben, aber die Sorge um Klara überwog.
Nachdem Katharina das Fischtor passierte hatte, ging sie am Hafen entlang, wo im Winter wenig Betrieb herrschte. Die Fl ä che zwischen der Stadtmauer und den Kais war gepflastert. Der Fluss führte weder Eis noch Hochwasser, so dass immerhin fünf Schiffe an den Kaimauern lagen, an denen Ladearbeiten stat t fanden. Die übrigen würden erst wieder im Frühjahr zum Ei n satz kommen. Lastenträger mit durchnässten Mänteln schlep p ten Ballen, Kisten und Fässer auf die Schiffe oder an Land. Pferde- und Ochsenkarren pendelten zwischen den Stadttoren und den Kais. Auch auf der Schiffsmühle wurde gearbeitet. Das schnell drehende Mühlrad war zwischen zwei fest verankerten und vertäuten Kähnen angebracht. Eine Frau trug einen prall gefüllten Sack unter Deck.
Auf den Hafen folgte ein Treidelpfad, der im Sommer festg e treten, jetzt aber matschig war. Ihn säumten in unregelmäßigen Abständen Pappeln und Weiden. Der Rhein floss breit und du n kel. Katharina liebte den Fluss. Sie war in Mainz geboren und kannte ihn schon, bevor sie denken konnte. Sie warf einen Blick aufs andere Ufer, wo der Main mündete. Dort gab es im Sommer hohes Gras, in dem sie manchmal lag und den Wo l ken nachschaute.
Katharina bog nach links; ein schmaler Pfad führte durch die Rheinauen auf den Wald zu. Ihre Schwester würde überrascht sein. Meistens trafen sie sich auf dem Markt. Klara verkaufte dort Kräuter, weshalb manche sie für eine Hexe hielten. Kath a rina betrat den kleinen, nicht weit vom Fluss gelegenen Wald.
Die Bäume waren kahl, ihre nackten Äste und Zweige bild e ten ein verworrenes, schwarzes Muster vor dem verregneten Himmel. Katharina zog ihren Mantel enger um die Schultern. Sie roch das faulige Laub vom vorigen Jahr, das den Waldb o den und den Weg bedeckte. Es war hier so still, dass sie nur ihre Schritte hörte und das Schreien einer Krähe.
Zwischen Bäumen sah sie das Haus ihrer Schwester; eigen t lich mehr eine Hütte. Etwas irritierte sie. Sie wusste jedoch nicht zu sagen, was genau es war. Dass kein Rauch aus dem Schornstein stieg? Die Stille? Nein. Jetzt fiel es ihr auf: Der Fensterladen der Frontseite war geschlossen! Bei Tag stand er immer offen! Beunruhigt ging sie weiter.
In diesem Moment lenkte sie ein Geräusch ab, das hinter e i nem Gebüsch junger Buchen hervorkam. Sie blieb stehen, lauschte und atmete schneller. Sie hörte ein Scharren, dann ve r schiedene Laute, die sich überlagerten und nicht voneinander zu trennen waren! Sie ging im Schutz von Baumstämmen g e räuschlos auf das Gestrüpp zu. Eine Männerstimme sagte: »Verdammt! Weg da!«
Sie hörte ein Pochen, wie wenn jemand mit einem Stock auf Holz schlägt. Katharina konnte noch immer nichts sehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie näherte sich vorsichtig dem Geräusch und atmete erleichtert auf. Dort wühlten etwa zwa n zig Schweine im Laub, bewacht von einem Hirten, der sie be i sammen hielt. Die Tiere hatten den Waldboden durchfurcht und fraßen, was sie an Eicheln und Bucheckern vom letzten Herbst finden konnten.
Der Schweinehirte schaute überrascht auf, als er Katharina sah, winkte ihr dann aber mit seinem Stab zu. Er trug einen d i c ken Wintermantel, über den sein mächtiger Bart hervorragte. Katharina winkte flüchtig zurück, drehte sich – zur Enttä u schung des Hirten – abrupt um und ging zurück zum Weg, den sie verlassen hatte. Sie war sich fast sicher, dass ihrer Schwester
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