das gutenberg-komplott
Richtung Pantheon, se i ne Stadt gefiel ihm zu dieser Jahreszeit am besten, wenn es alle in die Gassen zog, wenn man aus jeder Ecke Baulärm hörte und die Flüche und Schreie der Fuhrwerker. Als er die Kuppel des Pantheons sah, bog er ab in eine Seitengasse, die menschenleer war. Er öffnete die Tür eines zweistöckigen Gebäudes und warf einen kurzen Blick auf die hölzerne Marienfigur, die in einer Nische neben dem Eingang stand, das Jesuskind auf dem Arm.
Er ging eine Treppe hinauf und öffnete eine Tür, die ebe n falls nicht verschlossen war. Sebastiano schaute sich im Raum um und war zufrieden, er fand alles so vor, wie es mit Guido Bologna abgesprochen war. Auf einem Bett lagen das Kleid und die Jacke, auf einem Tisch stand der Korb mit den Süßi g keiten, daneben das Kopftuch, und auf einem kleinen Wan d schrank sah er, an die Wand gelehnt, den Metallspiegel.
Der Raum lag im Halbdunkel, die Läden waren nur einen Spalt breit geöffnet, aber die Sonne stand so, dass ein heller Lichtstreifen einfiel, in dem Staubkörner tanzten; vom Hof drang Kindergeschrei herein. Er zog sich aus und legte seine Hose, ordentlich zusammen gefaltet, auf das Bett, darauf sein Hemd, dann nahm er das Kleid und ging zum Spiegel. Er hielt es sich vor den Körper und betrachtete sich. Sein Vater hatte Recht, seinem Körperbau nach hätte man ihn leicht für eine Frau halten können, nicht nur der dünnen Arme und Beine und der feingliedrigen Finger wegen, auch seine Gesichtszüge w a ren feminin, sein Haar weich. Den väterlichen Pelz hatte er nicht geerbt, und seine Haut war glatt, als habe er sie mit Bim s stein abgerieben wie die adligen Frauen. Das rotbraune Kleid wirkte abgetragen und unscheinbar; man sah unzählige, die ihm ähne l ten, in den Straßen.
Er trat näher zum Spiegel und betrachtete seine gründlich r a sierte Gesichtshaut. Nein, er brauchte sich keine Sorgen zu m a chen, nicht der Schatten eines Barts war zu erkennen, beim be s ten Willen nicht, selbst wenn er sich so stellte, dass das Licht auf seine Wange fiel. Er hatte blonde Haare, wie sein Urgroßv a ter, den er nur vom Erzählen kannte. Sebastiano übte ein L ä cheln, obwohl er sich unwohl fühlte. Er hatte bereits zwei Me n schen getötet, aber was heute anstand, war ungleich schwier i ger.
Als Kind musste er häufig wie ein Mädchen herumlaufen, e r innerte er sich, während er sich ein Brustband umlegte und es ausstopfte, sie waren arm, und er bekam die Sachen seiner um ein Jahr älteren Schwester. Das war nicht ungewöhnlich, dort wo sie lebten, und der Spott hielt sich in Grenzen.
Er streifte sich das Kleid über den Kopf. Die Sandalen pas s ten gut, Bologna hatte an alles gedacht, und Sebastiano griff zum Kopftuch. Als er sich wieder im Spiegel betrachtete, ve r bluffte ihn die Wirkung, und seine Bedenken schwanden; die Wachen würden seine Verkleidung nicht durchschauen.
Er dachte an die Zehn Gebote, die man ihm und seinen K a meraden mit dem Stock eingebläut hatte. Wie lautet das erste Gebot? Du sollst keine anderen Götter haben … Und wenn man es nicht wusste, sauste die Rute durch die Luft, und im nächsten Moment jagte ein stechender Schmerz durch die Finger. Immer auf die Finger! Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten! – Eine Begründung dafür hatte er nie geliefert, der dicke, grausame Priester. Aber die Welt war nun mal grausam, und wenn man nicht untergehen wollte, dann musste man sich anpassen. B e stand nicht die Kunst des Überlebens darin, sich zu verwa n deln? Eine ewige Metamorphose …
Sebastiano glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod. Mit dem Tod war alles vorbei! Und deshalb spielte es auch keine Rolle, ob man tötete oder nicht. Man durfte sich nur nicht dabei erwischen lassen, das war in Wahrheit das erste und wichtigste Gebot. – Nur seine Familie war ihm heilig, nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, seine Frau zu schlagen, wie er das bei a n deren Männern beobachtet hatte, die er deswegen verachtete.
Er war mit seiner Maskerade zufrieden, und es blieb Zeit, den Gang zu üben. Das war wichtig, denn wenn er sich in den Kle i dern natürlich und selbstbewusst bewegte, dann zweifelte ni e mand an seiner Echtheit. Er hatte in den letzten Tagen seine Frau und ihre Art, sich zu bewegen, aufmerksam beobachtet. Ich muss mir einfach vorstellen, ich sei Emilia, sagte er sich, das ist ein guter Trick, es gibt keinen Menschen, den ich so gut kenne wie sie, und ich werde einfach für ein paar Stunden in ihre Haut
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