das gutenberg-komplott
etwas zug e stoßen sein musste. Hoffentlich täuschte sie sich; hoffentlich war ihre Sorge nichts weiter als die Ausgeburt einer überspan n ten Fantasie! Erneut kam das niedrige Haus in ihr Blickfeld. Sie blieb in einiger Entfernung stehen und wagte nicht, weiterzugehen. Warum war der Fensterladen geschlo s sen? Ihre Schwester verließ die Hütte nie für länger als ein paar Stunden. Und wenn sie in die Stadt auf den Markt ging, dann schloss sie nicht die Läden, das wusste Katharina. Ihre Schwe s ter hatte feste G e wohnheiten, von denen sie nicht abwich.
Katharina gab sich einen Ruck und ging zögernd auf das Haus zu. Dabei achtete sie auf Geräusche, aber außer dem Scharren im Laub war alles still. Katharina stand nur wenige Meter vom Haus entfernt. Vielleicht wollte ihre Schwester j e manden besuchen und über Nacht wegbleiben. Aber sie wollte nicht wirklich an diese Möglichkeit glauben. Oder war Klara krank? Instinktiv spürte Katharina, dass keine dieser Möglic h keiten zutraf.
Sie fasste die Tür ins Auge. Erst jetzt, aus kurzer Distanz, e r kannte sie, dass sie offen stand. Ein winziger Spalt. Katharina schaute zum Himmel: Es war erst Nachmittag und schien doch schon Nacht zu werden. Sie nahm ihren Mut zusammen und trat vor die Tür. Sie streckte die Hand aus und drückte gegen das Holz. Die Tür quietschte in den Angeln und gab ein Stück nach. Katharina schaute nach drinnen, sah aber nichts als Dunkelheit.
Sie stieß mit einem entschiedenen Ruck die Tür weit auf. Sie trat auf die Schwelle. Ihre Augen mussten sich erst an die Fin s ternis gewöhnen. Die Hütte bestand aus einem einzigen Raum, der zugleich als Wohn-, Ess- und Schlafzimmer diente. Sch e men zeichneten sich ab: das Bett, der Tisch. Zwei Stühle waren umgefallen und lagen auf dem Boden. Sie betrat den Raum und wandte sich nach rechts. Sie tastete sich an der Wand entlang bis zum Fenster, schob den Riegel zurück und öffnete den L a den. Katharina schaute sich um. Küchengeschirr lag ze r brochen am Boden. Der Raum wirkte verwüstet. Ihr Blick fiel wieder auf die umgefallenen Stühle. Dann schaute sie nach rechts. Sie machte zwei Schritte, blieb abrupt stehen und presste beide Hände gegen den Mund …
4.
S
teininger war zum Kurfürsten gerufen worden, der in se i nem Arbeitszimmer neben einem massiven Eichentisch saß, die Schuhe ausgezogen und die Beine auf einen Sch e mel gelegt hatte. Ein ockerfarbener Kachelofen wärmte den gemauerten Raum. Teppiche und Wappenmalereien schmüc k ten die Wände. Durch zwei Fenster schaute man über die D ä cher von Mainz. Die Kirchen und Klöster b e herrschten das Stadtpanorama; daneben gab es einige wenige aus Stein erric h tete Häuser, die alten Familien und mächtigen Zunftherren g e hörten. Wohlhabende Handwerker wohnten in mehrgeschoss i gen, bunt bemalten Fac h werkgebäuden. Zum Stadtrand hin wurden die Behausungen ärmlicher und far b loser.
Dietrich von Erbach hielt eine Schreibfeder zwischen Da u men und Zeigefinger und ließ sie wie die Arme einer Waage auf und ab pendeln.
»Dieser neue Richter …« Der Kurfürst schaute Steininger nicht an, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen bei der Tür stand. »Wie bist du eigentlich ausgerechnet auf ihn geko m men?«
»Er wird sich bewähren«, erwiderte Steininger.
»Ein Mann mit so wenig Erfahrung für eine derart heikle Aufgabe – ich habe da Zweifel.«
»Gib ihm eine Chance!«
»Das werde ich tun – wenn es die Situation zulässt.« Der B i schof hielt die Feder mit beiden Händen und bog sie so stark, dass sie zu brechen drohte. »Allerdings darf ich mir dem Stad t rat gegenüber keine Blöße geben. Im Moment ist vieles in der Schwebe; die Entscheidungen, die jetzt fallen, werden für Jah r zehnte Bestand haben. Deswegen ist es wichtig, Flagge zu ze i gen. Sobald sie bei mir die kleinste Schwäche entdecken, eine verwundbare Stelle, werden sie auf mich einhacken wie Rau b vögel. – Wie soll dieser unerfahrene Bursche gegenüber dem Stadtrat bestehen? Sie sind alle gegen ihn!«
»Wir sollten ihn nicht unterschätzen«, sagte Steininger. »Se i ne Jugend kann für dich ein Vorteil sein, denn er wird auf dich h ö ren! Er ist zu jung, um widerspenstig zu sein. Ein Mann von vie r zig oder fünfzig Jahren ist dagegen ein alter Stamm, den man schwer beugt; der hat seine eigenen Ansichten und macht Pro b leme.«
»Weshalb hast du an ihm einen Narren gefressen?«
Steininger machte einen Schritt auf den Kurfürsten
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