das gutenberg-komplott
winzigen Schrift bedeckt, und am Rand fanden sich Anmerkungen zum Text – es war ein Evang e liar . Sebastiano wusste, dass Nikolaus viel für den Ausbau der alten päpstlichen Büchersammlung getan hatte, indem er Boten in alle Teile der Welt schickte, um die wichtigsten Schriften in den Vatikan zu holen. Die Gelehrten, die er um sich versammelt hatte, fanden optimale Arbeitsbedingungen vor.
Sebastiano sah den Bücherschrank, von dem Bologna g e sprochen hatte, und klappte die Flügeltüren auf. Der Schrank war geräumig und leer, er trat ein und zog die Türen von innen wieder zu.
Er kannte den Mann nicht, den er töten sollte, und er wusste auch nicht, warum er sterben musste. Er wusste nur, dass der Unbekannte jeden Tag in die Bibliothek kam, um an einem Buch zu schreiben. Sebastiano hatte keine unnötigen Fragen gestellt, und er glaubte, dass es vor allem diese Eigenschaft war, die Bologna an ihm schätzte. Er konnte schweigen, er war z u verlässig.
Die Schranktür bestand unten aus einer geschlossenen Hol z fläche, aber etwa auf Augenhöhe befand sich Schnitzwerk, sel t same, verschlungene Ranken, und so konnte Sebastiano sehen, was im Raum geschah, wahrend er von außen, wie ihm Bolo g na versichert hatte, vom Opfer nicht entdeckt werden kon n te. Er wusste nichts über den Mann, der an einem Buch schrieb; er wusste nur, dass er schlecht sah und schlecht hörte.
Sebastiano wollte nicht an seine Familie denken, weil es ihn ablenkte, aber Emilia kam ihm in den Sinn und die Kinder. Sie würden heute Abend an den Tiber gehen und Fisch essen. Er freute sich darauf. Morgen Vormittag musste er eine Gruppe französischer Pilger durch die Stadt führen, aber nachmittags hatte er Zeit, und er konnte Ausschau halten nach einer neuen Wohnung. Bald würde es ihnen besser gehen. Bologna zahlte pünktlich, da musste er sich keine Sorgen machen; ansonsten ein eigenartiger Mensch, irgendwie undurchschaubar. Sebasti a no handelte in seinem Auftrag, aber er glaubte, dass in Wah r heit ein anderer dahintersteckte, jemand, der noch höher stand. Nein, er stellte keine Fragen. Es war egal. Die Geschäfte dieser Me n schen interessierten ihn nicht, das war eine andere Sphäre, da ging es um Ehrgeiz, Ansehen, Macht; abstrakte Begriffe für einen Mann wie ihn, der Geld brauchte für seine Familie.
Er hörte Schritte im Gang und verdrängte alle Gedanken bis auf den einen. Der Schlüssel drehte sich im Schloss, jemand öffnete die Tür. Sebastiano presste sein Gesicht gegen das Holz und spähte durch die Ranken. Der Mann, der die Bibliothek betrat, war alt, hatte einen grauen Bart und ging gebeugt. Das gefiel ihm nicht. Aber was machte es für einen Unterschied? Er tötete für Geld. Durfte man da wählerisch sein? Der Mann trug Purpur, ein Kardinal, davon war nicht die Rede gewesen; de s halb also hatte Bologna sich nicht lumpen lassen. Wahrschei n lich hätte Sebastiano noch mehr verlangen können!
Jetzt erinnerte er sich daran, dass es in beiden vorherigen Fällen einen ähnlichen Moment gegeben hatte, als er seine O p fer zum ersten Mal sah. Wahrscheinlich war das ganz normal, und nur jemand ohne Gefühl konnte davon frei sein. Aber es war für Emilia, für die Kinder und für seine alte Mutter; es spielte keine Rolle, ob er den Mord beging oder ein anderer. Denn das war der springende Punkt: Der alte Mann da, der auf ein Pult zuging und Papiere ausbreitete, musste sowieso sterben – und Sebasti a nos Familie brauchte das Geld dringender als irgen d ein Kerl, der es versoff und mit Huren durchbrachte.
Der alte Mann hatte ein Tintenhorn mitgebracht, das er am Pult befestigte. Dann blätterte er in dem Band, der dort angeke t tet war. Sebastiano beobachtete ihn eine Weile, wie er den Kopf nach vorn beugte und mit seinen kurzsichtigen Augen einen Text las, während seine Finger dem Verlauf der Zeilen folgten. Warum sollte er die Angelegenheit länger hinauszögern? Es war besser, es hinter sich zu bringen. Er schob die Schranktür auf und ging mit seinem Korb, der die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte, auf den Alten zu. Die Tür quietschte in den A n geln, aber das konnte ihm egal sein. Er war sich seiner Sache mittlerweile so sicher, dass er kaum darauf achtete. Was sollte schief gehen? Der Mann war wehrlos.
Der Alte hob den Kopf, runzelte die Stirn und blickte u n gläubig. Sebastiano konnte sich vorstellen, was gerade in ihm vorging. Er glaubte sich allein in der Vatikanbibliothek, und plötzlich kam ihm eine Gestalt
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