das gutenberg-komplott
schlüpfen wie ein Schauspieler. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass auf der Bühne Frauen Männerrollen überna h men und umgekehrt.
Er ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, betrachtete sich dabei im Metallspiegel, fand das Ergebnis nicht übel und wagte Tanzschritte, weil er fand, dass es ihm noch an Leichtigkeit fe h le. Spielerisch lernt man am schnellsten, das hatten ihn seine Ki n der gelehrt. Er schnitt Grimassen und probte sein Miene n spiel. Dann war es genug – Zeit zu gehen. Er packte den Korb unter den Arm, verließ das Zimmer und das Haus.
Als er aus der Sackgasse und unter Menschen kam, fürchtete er jedes Augenpaar und dass alle Köpfe sich ihm zuwenden, dass man ihn verlachen würde. Bestimmt wirkte sein Gang hö l zern und kantig. Aber nichts geschah! Man beachtete ihn kaum. Bei einer Taverne standen fünf Männer, und einer pfiff ihm hi n terher, worauf die andern lachten. Er trieb die Sache auf die Spitze, indem er eine passende Antwort gab und die Wirkung seiner Stimme erprobte; sein Versuch kam ihm ziemlich mis s lungen vor, aber den Männern fiel nichts auf. Seine Schritte gewannen an Sicherheit.
Er machte ein paar Umwege, plauderte mit einem Fleischer und stellte sich vor, er sei Emilia, bis er schließlich wirklich das Gefühl hatte, in ihre Haut geschlüpft zu sein. Dann ging er zum Tiber, sang leise vor sich hin, wie sie es oft tat, und überquerte die Brücke. Hier musste er aufpassen, nicht unter die Räder zu kommen. Fuhrwerke rollten zum Vatikan, beladen mit Steinen, Balken, Fässern und Säcken, gezogen von Pferden und Ochsen, die sich gegen das Gewicht stemmten, und leere Wagen kehrten von dort zurück, mit Zugtieren, deren Schritte leicht waren.
Männer mit Hellebarden bewachten den Eingang zum Vat i kan, und Sebastiano reihte sich in die Schlange der Wartenden ein. Seit dem misslungenen Attentat auf den Papst hatte man die Bewachung verschärft. Er schaute auf seinen Korb mit den S ü ßigkeiten und dachte an Porcari.
Stefano Porcari, der dem niederen Adel entstammte, hatte im Januar eine Verschwörung gegen den Papst angezettelt. Er war ein Populist, Sebastiano hatte ihn vor zwei Jahren reden hören, als er das Volk aufwiegelte, daraufhin schickte ihn der Papst in die Verbannung. Aber Porcari kehrte zurück, verhielt sich z u nächst ruhig und warb im Untergrund für seine Sache. Er war Republikaner, wollte Rom von der »Knechtschaft der Pä p ste« befreien, den Vatikan in Brand setzen, den Papst entmac h ten, wahrscheinlich sogar töten und sich selbst zum Tribun e r heben. Pech für Porcari, dass Nikolaus von der Sache Wind bekam, er wurde zusammen mit seinem Sohn, seinem Schwager und we i teren Komplizen hingerichtet. In der Engelsburg ba u melten sie am Galgen, als abschreckendes Beispiel. Hoffentlich würde es Sebastiano nicht genauso ergehen!
Eine Mauer umgab den Vatikan. Über die Schultern seines Vordermannes, durch das offene Tor, sah Sebastiano die Ba u gerüste an Sankt Peter, ein Steinblock bewegte sich an einer Seilwinde nach oben, angetrieben von zwei Männern, die ein ri e senhaftes Rad in Gang hielten, in dem sie eingesperrt waren wie in einem Käfig. Es hatte Gerüchte gegeben, Sankt Peter solle ganz abgerissen und eine neue Kirche an derselben Stelle e r richtet werden, aber dazu war es nicht gekommen.
Nicht nur der Vatikan, die ganze Stadt war eine Baustelle, und vielleicht würde Rom wieder aufblühen – hoffentlich! Was war nur aus dem einstigen caput mundi, der Welthauptstadt geworden! Auf dem Forum Romanum weideten Ziegen, zu S e bastianos großem Ärger. Weite Teile der Stadt lagen in Trü m mern, und die Aurelianische Stadtmauer wirkte wie ein Mantel, der früher einmal gepasst hatte, aber für einen abgemagerten Körper zu weit geworden war und an den Gliedern schlotterte. Aber es ging wieder aufwärts, seit die Päpste aus dem Exil in Avignon zurückgekehrt waren, seit das Konzil von Konstanz die Einheit der Christenheit notdürftig wiederhergestellt hatte. Vor allem seit Nikolaus im Vatikan regierte, machte sich die Hoffnung breit, Rom werde seinen alten Glanz zurückgewi n nen.
Ein Wagen mit Getreide passierte das Tor, nach ihm einige Cluniazenser in Ordenstracht – und dann stand Sebastiano vor einem stämmigen Wachmann mit silbrig glänzendem Helm. Er hielt gleich seinen Korb vor: »Orientalische Leckerbissen«, sa g te er, »Kuchen und anderes. Ich möchte das an die Küche verka u fen.«
Der Wachmann nickte. »Der Küchenmeister war
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