Das Hades Labyrinth (German Edition)
einen Teil des Oberkörpers abbildeten. Mann und Frau. Nikolai und Irina Tepes.
Adams Vater war ein hagerer Mann mit eingefallenen Wangen und tief liegenden Augen gewesen, die aus dunklen Höhlen zu leuchten schienen. Sein Mund war schmal und verkniffen, so als bemühe er sich, Worte am Verlassen seiner Lippen zu hindern. Es war das Gesicht eines Fanatikers.
Als Daniel die Frau betrachtete, setzte sein Herz für zwei Schläge aus. Vor ihm lag das perfekte Ebenbild seiner Exfrau Sarah. Die gleichen schmalen Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen. Volle Lippen, die zum Küssen aufzufordern schienen. Dunkle Augen, sanft und weich wie ein versteckter Teich im Mondlicht. Adams Mutter trug das Haar kürzer, aber ansonsten war die Ähnlichkeit verblüffend. Die Frau auf dem Bild war etwas älter als Sarah und ihre Züge wirkten durch ihre aufzehrende Krankheit verhärtet, aber sie war von ebensolcher strahlenden Schönheit wie seine Exfrau. Das gleiche versteckte Lächeln spielte um ihren Mund, so als wüsste sie etwas, da sonst niemand weiß. Wäre er nicht der Überzeugung gewesen, dass es unmöglich war, hätte Daniel gedacht, eine Fotografie von Sarah mit einem fremden Mann in der Hand zu halten.
Nun verstand er auch Adams Reaktion, als er damals Sarahs Bild in seiner Brieftasche gefunden hatte. Adam musste das Gefühl gehabt haben, seine Mutter wäre von den Toten auferstanden und führe nun ein anderes Leben.
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Befand sich Sarah in Gefahr? Wer konnte ahnen, was dieses Erlebnis bei Adam ausgelöst hatte? Andererseits war Adam seit fast zwei Jahren spurlos verschwunden. Wenn er irgendwelche Pläne Sarah betreffend gehabt hätte, wären diese längst ausgeführt worden. Nein, Adam war auf der Flucht. Er hatte ganz andere Sorgen.
Daniel schob die Fotografie in seine Jackentasche und faltete die Papiere sorgfältig, bevor er sie ebenfalls in der Jacke verschwinden ließ.
Es war Zeit zu gehen.
Die drei Männer waren nicht mehr als schemenhafte Schatten, als sie aus der Erde krochen und über verlassene Gleise zum stillgelegten Bahnhofsgebäude huschten.
Ihr Anführer war ein Mann Ende Zwanzig, dessen Augen von übermäßigen Drogenkonsum gerötet waren. Aber er und die anderen bewegten sich sicher auf diesem Terrain. Sie waren schon oft hier gewesen, um Drogendeals abzuwickeln und um Waffen und Vorräte von Junkies gegen reines Heroin einzutauschen.
Diesmal war es anders. Seit Monaten hatten sie die Höhlen nicht mehr verlassen und die kühle Nachtluft ließ sie frösteln. Ein fahler Mond stand am Himmel, in seinem bleichen Licht erkannte der Anführer, dass seine Kleidung nur noch aus Lumpen bestand, die von einem verschlissenen Gürtel an seinem ausgemergelten Körper festgehalten wurden. Einen Moment lang dachte er an sein früheres Leben, bevor er Adam begegnet war. Er dachte an den Job, den er gehabt hatte und an die Freunde, die nun keine Freunde mehr waren. Die Drogen hatten sein Dasein zerstört und obwohl er sich dessen bewusst war, fühlte er keine Reue. Adam hatte ihm ein anderes Leben geschenkt und bald, sehr bald würde er an der unvergleichlichen Macht seines Führers teilhaben, aber zuerst musste er noch einen Auftrag ausführen.
Bringt mir die Frau, hatte Adam befohlen.
Nie wäre es dem Anführer der kleinen Gruppe in den Sinn gekommen, Adams Befehle in Frage zu stellen und so waren er und seine beiden Begleiter an die Oberfläche gestiegen, um den Wunsch ihres Herren zu erfüllen, auch wenn dieser Wunsch für sie mit großer Gefahr verbunden war.
„Wo müssen wir hin?“, raunte der kleine Mann an seiner Seite.
Der Anführer orientierte sich kurz, dann wies er in Richtung der Hauptstrasse die nach Lichtenfels führte.
„Dort entlang.“
Und ihre Körper wurden wieder zu Schatten.
18. Zeichen aus der Vergangenheit
Daniel saß auf dem Boden in seinem Wohnzimmer. Die Fotografie der Geschwister Tepes’ hatte er zur Seite gelegt. In seinen Händen hielt er den Brief den Nikolai Tepes an Adam geschrieben hatte. Es war jetzt fast 4.00 Uhr morgens und noch herrschte die Nacht, doch ein fahler Lichtschein am Horizont verriet, dass der Morgen nicht mehr fern war. Daniel zog die Stehlampe näher zu sich heran und las.
Mein lieber Sohn,
ich schreibe Dir diesen Brief, um ein Vermächtnis an Dich weiterzugeben. Du bist noch sehr klein, aber ich schreibe dies, damit, sollte mir oder Deiner Mutter etwas geschehen, Du trotzdem erfährst,
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