Das Hades Labyrinth (German Edition)
Fensterriegel herunter. Danach zog er sich mit beiden Händen am Rahmen festhaltend in das Haus hinein.
Als erstes fiel Daniel der seltsam modrige Geruch des Hauses auf, der sich schwer auf seine Zunge legte und seinen Mund austrocknete. Hier war seit Jahren nicht mehr gelüftet worden. Es roch nach vergilbten Papier und etwas Undefinierbaren. Daniel legte seine Jacke über den Arm und schirmte so einen Teil des Lichtstrahles seiner Taschenlampe ab. Wie ein goldener Finger durchteilte das Licht die Dunkelheit und ließ den aufgewirbelten Staub in seinem Schein tanzen. Fischer blickte sich um. Offensichtlich war er im Esszimmer gelandet, denn ein großer, runder Tisch mit darum gruppierten Stühlen versperrten ihm den Weg. An der linken Seite des Raumes stand ein hoher, alter Küchenschrank aus Nussbaumholz und wirkte wie ein vergessener Wächter aus alter Zeit. Das Zimmer war komplett eingerichtet mit einem fasrigen Teppich, kleinen Regalen an der Wand, in denen sich das Geschirr stapelte. Wäre es nicht so still hier drin gewesen und hätte der Staub nicht in seiner Nase gekitzelt, konnte man glauben, die Bewohner hätten sich lediglich zu Bett begeben und würden am nächsten Morgen an diesem alten Tisch ihr Frühstück einnehmen.
Daniel überraschte dieser Umstand. Er hatte erwartet, das Haus ausgeräumt vorzufinden. Umso besser, das erhöhte seine Chance, eine Spur oder einen Hinweis auf Adams Aufenthaltsort zu finden.
Fischer ließ noch einmal den Lichtstrahl durch den Raum gleiten, dann machte er sich systematisch daran, das Haus abzusuchen. Eine Stunde später hatte er alle sechs Räume intensiv erforscht, war aber nicht fündig geworden. Zwar befanden sich alle Möbel an den vorgesehenen Plätzen und die Kleider hingen ordentlich aufgereiht in den Schränken, aber nirgends gab es Fotografien oder Schriftstücke. Daniel hatte sämtliche Schränke durchwühlt, alle Schubladen geöffnet. Nichts. Kein Fetzen Papier.
Das kann nicht sein, dachte er. Irgendwo muss das Zeug sein.
Niemand hinterließ ein Haus in diesem Zustand, sorgte aber dafür, dass es nichts Schriftliches zu finden gab.
Wo haben sie es versteckt?, grübelte er. Wo würde ich so etwas verstecken?
Er ging ins Wohnzimmer zurück. Der Raum war weitläufig mit einem altmodischen vergitterten Kamin und wuchtigen Möbeln, denen man ansah, dass es den Bewohnern in erster Linie um Bequemlichkeit und nicht um einen Platz in ‚Schöner Wohnen’ gegangen war. Am hinteren Ende des Zimmers stand ein wurmstichiger Sekretär, der mindestens einhundert Jahre alt war, aber den hatte Fischer bereits aufgebrochen und nichts entdeckt.
Hier! Es war hier in diesem Raum. Daniel konnte es spüren. Aber wo?
Er kroch in den Kamin hinein und leuchtete auf dem Rücken liegend die Ziegelwand hinauf. Nichts. Danach verschob er sämtliche Möbel im Raum, tastete sie auf geheime Verstecke oder verdächtige Wölbungen ab. Auch nichts. Er wollte sich gerade den Teppich vornehmen und ihn aufrollen, als eines der Tischbeine beim Verrücken des Tisches aus seiner Verankerung fiel und der ganze Tisch zur Seite kippte. Es gelang ihm noch, den Fall zu verlangsamen, trotzdem hallte ein donnerndes Geräusch durch das Haus.
Na prima, dachte er. Warum rufst du nicht gleich selbst die Polizei an, du Idiot. Dann fiel sein Blick auf das am Boden liegende Tischbein und er vergaß jeden Gedanken daran, jemand könnte ihn gehört haben. Langsam bückte er sich hinunter.
Das runde, gedrechselte Tischbein war innen hohl. Mit zitternden Fingern zog er ein Bündel aufgerollter Papiere heraus, die jemand in einen Gefrierbeutel gepackt und verschweißt hatte. Er riss die Plastikfolie auf und breitete den Inhalt vor sich aus. Mehrere Papierseiten, dünn wie Luftpostpapier lagen vor ihm und rollten sich sofort wieder zusammen, sobald er die Finger von den Ecken nahm. Es waren ungefähr zehn Seiten, beschrieben mit einer fast künstlerisch anmutenden, sorgfältigen Schrift. Schon nach den ersten Worten wusste Daniel, dass er genau das gefunden hatte, wonach er gesucht hatte.
Die Worte waren von Nikolai Tepes an Adam gerichtet, denn der Brief begann mit den Worten „Mein lieber Sohn“.
Fischer blätterte kurz durch die Seiten ohne zu lesen, als eine vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografie zwischen den Blättern heraus fiel. Zögernd hob Daniel das Bild auf und betrachtete es im Schein der Taschenlampe. Zwei Menschen waren darauf zu sehen. Es waren Porträtaufnahmen, die nur die Gesichter und
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