Das hätt' ich vorher wissen müssen
wiedererkennen. Auch in Zukunft könnte ich unbehelligt von Autogrammjägern und enthusiastischen Fans durch ein Kaufhaus bummeln, obwohl ich eigentlich das Gegenteil erhoffte.
Es muß kurz vor Weihnachten gewesen sein, als mich Steffi eines Nachmittags aus dem Keller holte, wo ich Bestandsaufnahme machte und gerade bei den eingeweckten Pfirsichen angekommen war. Ein Herr wünsche mich zu sprechen.
»Muß das denn sein? Allmählich könntest du diese Häkeldeckchenverkäufer auch mal selber abwimmeln. Sag einfach, deine Mutter sei nicht zu Hause.«
»Das ist kein Vertreter. Er hat gesagt, er kommt von deinem Verlag.«
»Was???« Entsetzt sah ich an mir herunter. Die Hose, deren ursprüngliche Farbe man nicht mal mehr erahnen konnte, war ebenso ausgeleiert wie Rolfs altes Oberhemd, über das ich wegen der lausigen Kälte hier unten das nächstbeste Kleidungsstück gezogen hatte, das mir in die Hände gefallen war. Ich hatte die grüne Wolljacke kurzerhand aus dem Altkleidersack gewühlt. Vorne reichte sie gerade über den Bauchnabel, hinten hing sie in den Kniekehlen. In diesem Aufzug konnte ich mich unmöglich sehen lassen. Warum hatte dieser Mensch denn nicht vorher angerufen? Und wer war das überhaupt? Wenigstens handelte es sich um einen Mann, das machte die Sache einfacher, allerdings nicht in dieser Kellerkluft. Die Haare hatte ich mir heute morgen auch waschen wollen, war bloß nicht dazu gekommen, weil das Bad ewig blockiert war, und dann hatte Sascha auch noch den Fön runtergeschmissen…
»Nun beeil dich ein bißchen, der arme Kerl kriegt ja Frostbeulen da oben!«
»Wo ist er denn?«
»Na, draußen vor der Tür!«
»Bist du wahnsinnig geworden?« Ich jagte die Treppe rauf. Steffi hinterher. »Dauernd bleust du uns ein, wir sollen keine Fremden so einfach ins Haus lassen, und nun ist es auch wieder nicht richtig«, keuchte sie beleidigt.
»In diesem Fall ist das doch ganz was anderes. Jetzt läßt sich endlich mal so ein Verlagsmensch hier blicken, und dann behandelst du ihn wie einen ganz gewöhnlichen Staubsaugervertreter.«
»Und wenn es nun eine Ausrede war? Bei XY warnt der Zimmermann immer wieder vor neuen Gaunertricks.«
»Du hast ein Hirn wie Mickymaus! Ein Wildfremder kann doch gar nicht wissen…«
Zu weiteren Erklärungen blieb keine Zeit. Ungeachtet meines ramponierten Aussehens riß ich die Haustür auf in der Erwartung, entweder überhaupt niemanden mehr oder zumindest einen sehr verschnupften Besucher vorzufinden.
Vor mir stand ein freundlich lächelnder Herr mittleren Alters.
»Entschuldigen Sie…«
»Entschuldigen Sie…«
Wir hielten beide inne, es herrschte sekundenlanges Schweigen, dann lachten wir laut los.
»Jetzt kommen Sie erst einmal herein, bevor Sie endgültig festfrieren. Meine Tochter hat Sie leider mit einem dieser Treppenterrier verwechselt.«
Er schälte sich aus dem Mantel. »Damit liegt sie gar nicht so falsch. Ich bin nämlich der Verlagsvertreter für Baden-Württemberg. Brühl ist mein Name.« Er gab mir die Hand, ich legte zögernd meine Fingerspitzen hinein. Am Rest klebte Pfirsichsaft.
»Zunächst bitte ich um Entschuldigung, daß ich hier so einfach hereinplatze, aber ich habe gerade Frau Eckert besucht, und da dachte ich mir, bei dieser Gelegenheit könnte ich doch unsere neue Autorin kennenlernen.«
So, haste gedacht! Dabei gehe ich jede Wette ein, daß man dich vorgeschickt hat. Mal ein bißchen das Terrain sondieren. Könnte ja sein, daß die Neue schiefe Zähne hat und schielt. Oder stottert.
»Frau Eckert hat übrigens keine Ahnung, daß Sie ein Buch geschrieben haben. Sie war ganz überrascht.«
Frau Eckert ist die Besitzerin der hiesigen Buchhandlung und aus naheliegenden Gründen die letzte, der ich etwas erzählen würde. Während ich Herrn Brühl ins Wohnzimmer führte und dort in den am wenigsten durchgesessenen Sessel komplimentierte (jetzt war aber wirklich mal eine neue Sitzgarnitur fällig!), erklärte ich ihm, weshalb ich zumindest hier im Ort mein Doppelleben verheimlichen wollte. »Als wir herzogen, galten wir mit den fünf Kindern schon beinahe als asozial. Diese Vermutung wurde noch bestärkt durch die Tatsache, daß mein Mann weder bei NSU arbeitet noch bei Kolben-Schmidt, wo jeder zweite Einwohner von Bad Randersau beschäftigt ist, sondern manchmal tagelang zu Hause rumhängt und scheinbar gar nichts tut. Von der Schreibtischarbeit kriegt ja niemand was mit. Die meisten glauben, wir leben vom Kindergeld. Inzwischen haben
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