Das hätt' ich vorher wissen müssen
was. Der Kartoffelsalat ist aber alle.«
Es störte Herrn Reichelt nicht, daß ich meine Aufmerksamkeit zwischen ihm und dem Bismarckhering teilte; er stellte ohnehin nur die üblichen Fragen, die ich nun schon oft genug gehört hatte und mittlerweile recht flüssig beantworten konnte. Die Schwierigkeiten begannen erst, als ich mich über den Bücherstapel hermachte. Zum Teil lagen Zettelchen drin mit Anweisungen, was ich hineinzuschreiben hätte: Für Anni, für Frau Weise, für Herrn Heitermann, für die kleine Tanja… und jedesmal hakte ich, wenn ich meinen Namen druntersetzen sollte. Es ist eben doch ein Unterschied, sein Pseudonym gedruckt zu sehen oder es plötzlich schreiben zu müssen. Anfangs kam ich mir dabei immer wie eine Hochstaplerin vor. Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter. »Ich hatte immer geglaubt, mit meinen einsachtzig wäre ich nicht zu übersehen, aber bis jetzt hast du mir noch keinen Blick gegönnt.«
Überrascht drehte ich mich um und sah in das lachende Gesicht meines Vaters. »Wie kommst du denn hierher? Woher weißt du überhaupt…?«
Natürlich hatte ich Vati mein Kommen angekündigt, aber erst für den nächsten Tag. Familie war genau das, was ich mir jetzt am wenigsten wünschte. Den gleichen Eindruck hatte wohl auch Frau Schöninger. Wie zufällig schob sie sich heran. »Alles in Ordnung?«
»Nein, der Herr belästigt mich.«
Ihr liebenswürdiges Lächeln machte einer energischen Miene Platz. Sie baute sich vor meinem Vater auf, wobei sie mangelnde Größe durch doppelte Breite kompensierte. »Sind Sie Reporter?«
»Nein, nur Beamter. Außerdem habe ich keine unlauteren Absichten, ich möchte die Dame lediglich morgen zum Essen einladen.«
»Frau Sanders hat morgen Termine. Damit erübrigt sich wohl Ihr Angebot.«
»Och, abends bin ich doch fertig«, sagte ich scheinbar enttäuscht.
Entgeistert sah sie mich an und wirkte dabei so hilflos wie ein schmelzender Schneemann. Es wurde wohl Zeit, dieses neckische Spiel zu beenden. »Darf ich Sie mit meinem Vater bekannt machen?«
Und wieder war kein Fotograf zur Stelle, der diesen Augenblick festgehalten hätte. Der kam erst etwas später und holte mich nach draußen. »Wir brauchen jetzt noch etwas Offizielles. Am besten gehen wir nach oben.«
Nach oben hieß wieder lange Gänge, Treppen, noch mal Gänge – mühsam humpelte ich hinter ihm her. In einem Saal, an dessen Wänden übergroße Gemälde hingen, machte er endlich halt. Das ganze Mobiliar bestand aus einem riesigen Eichenschrank und einem nicht minder riesigen Refektoriumstisch, auf dem bereits eine Batterie Bücher aufgebaut war. Nur stand er leider nicht parallel zum Schrank, aber genau dort sollte er hin wegen des Hintergrundes, und weil da das Licht besser war.
»Können Sie mal mit anfassen?«
Aber gewiß doch, nichts lieber als das! Schuhe abgeschüttelt und hau-ruck. Der Tisch bewegte sich auch nicht einen Zentimeter von der Stelle.
»Das schaffen wir nicht allein. Ich hole Verstärkung.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Seitdem ich die Schuhe los war, lebte ich wieder auf. Zahnschmerzen waren ja nichts dagegen! Ich schwang mich auf den Tisch und betrachtete die Bilder. Friedrich der Große mit Flöte, Friedrich der Große mit Windhund, Friedrich der Große hoch zu Roß – das Berlin-Museum wurde seinem Namen durchaus gerecht.
Der Fotograf kam zurück, in seinem Kielwasser folgten Jupp und Hermann sowie Verlegers.
»Das ist gut, bleiben Sie genau so sitzen!«
»Aber meine Schuhe…«
»Die Füße kommen nicht mit drauf.«
Der erste Blitz. Ihm folgten weitere, und immer war ich das Opfer. Mal mit Buch in der Hand, mal mit Arm auf dem schnell übereinandergestapelten Bücherberg, mal lässig an den Tisch gelehnt, mal mit Kugelschreiber beim Signieren. Und alles ganz natürlich und überhaupt nicht gestellt.
Endlich war der Fotograf zufrieden. Glaubte ich. Aber es ging noch weiter. Gemeinsam wuchteten wir den Tisch in die vorgesehene Position ohne Rücksicht auf die Schleifspuren im Parkett, und dann fing das Spiel von vorne an. Diesmal mit Verlegers und eilends herbeigeholtem Blumenstrauß. Frau Sanders in der Mitte, Frau Sanders etwas halblinks, Frau Sanders im Vordergrund – Frau Sanders hatte die Nase voll und gab das auch sehr deutlich zu verstehen. Der Fotograf packte seine Kameras ein, ich suchte mal wieder meine Schuhe, dann zogen wir ab. Der Tisch blieb, wo er war.
Die meisten Besucher waren gegangen, Irene ebenfalls, aber das war
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