Das hätt' ich vorher wissen müssen
vorschrieb und beigefarbene Schuhe bestenfalls in Form von Ladenhütern aufzutreiben waren. Sämtliche Schuhgeschäfte von Heilbronn lernte ich kennen, auch die, von deren Existenz ich keine Ahnung gehabt hatte, dehnte meine Suche auf die Vororte aus, bekam Schnürschuhe mit Blockabsatz angeboten, Abendsandaletten in mattem Gold (»Die können Sie ruhig nehmen, bei Lampenlicht glänzen sie überhaupt nicht mehr«) und einmal sogar dunkle Pumps mit der lapidaren Erklärung: »Schwarz paßt zu allem!«
Ein kleiner Laden, dessen Haupteinnahmequelle eigentlich aus Trachtenkleidern bestand, wurde meine Rettung. Aus der hintersten Ecke förderte die Verkäuferin einen aber schon sehr angestaubten Karton zutage, in dem genau das lag, was ich suchte: Glatte beigefarbene Pumps mit hohem Absatz. Sie hatten nur einen Nachteil: Sie waren genau eine Nummer zu klein.
»Wildleder dehnt sich immer etwas aus«, hätte die Verkäuferin versprochen und mir zwecks Unterstützung dieses Vorgangs eine Flasche sündhaft teuren Sprays angedreht, »Sie müssen die Schuhe nur erst richtig einlaufen.«
Eben das hatte ich dann tagelang versucht, aber jedesmal, wenn ich sie nach längstens zehn Minuten fluchend ausgezogen hatte, schienen sie noch ein bißchen enger geworden zu sein. Und jetzt mußte ich erneut in diese Futterale rein! Bis zum letzten Augenblick zögerte ich es hinaus, obenherum in voller Kriegsbemalung, unten mit Plüschpantoffeln. Als Frau Schöninger mich abholte, nickte sie mitfühlend. »Meine drücken auch.«
Durch das Vestibül kam ich noch mit aufrechtem Gang, im Auto konnte ich barfuß sitzen, aber schon der Marsch durch die endlosen Flure des Berlin-Museums bis zur Weißbierstube, wo der Auftrieb stattfinden sollte, war nur mit zusammengebissenen Zähnen zu schaffen.
Jupp und Hermann, die beiden Kneipiers, hatten mit viel Liebe ein Altberliner Büfett aufgebaut, bei dessen Anblick mein Magen unüberhörbar zu knurren anfing, denn die Königinpastete hatte nicht lange vorgehalten. Ich mopste mir ein Solei, mehr durfte ich nicht, weitere Diebstähle hätten die Harmonie dieses Stillebens gestört, und außerdem mußte ich ja Hände schütteln, Komplimente entgegennehmen und lächeln, lächeln, lächeln…
Der Raum füllte sich. Man kannte sich untereinander, begrüßte sich, umarmte Jupp und Hermann, die offenbar zur stadtbekannten Prominenz gehörten, und freute sich allem Anschein nach auf einen gemütlichen Abend. Bald stand ich etwas verloren inmitten des ganzen Getümmels und suchte nach meinem Babysitter. Frau Schöninger war nirgends zu sehen.
Ich machte mich auf die Suche und fand sie draußen auf dem Gang, wo sie mit einem Fleischermesser Plastikfolien aufschlitzte. »Es ist doch wirklich kein Verlaß auf diese Brüder! Wir haben extra hundert ›Pellkartoffeln‹ ankarren lassen und gesagt, daß die Bücher hier draußen vor der Tür schön sichtbar aufgebaut werden sollen, damit sich jeder ein Exemplar nehmen kann. Immerhin müssen die Buchhändler ja wissen, was sie verkaufen sollen. Und was ist dabei herausgekommen? Irgendein Idiot hat den Karton da hinten in die Ecke verfrachtet, wo ihn kein Mensch gesehen und folglich auch nicht ausgepackt hat. Jetzt ist der größte Teil der Meute schon drinnen, und ich kann nachher wie ein Schnürsenkelverkäufer von Tisch zu Tisch gehen, um die Bücher zu verteilen.« Wütend stach sie mit dem Messer in die Folie und zerfetzte versehentlich gleich den Schutzumschlag. »Verd…«
»Warten Sie, ich helfe Ihnen. Sie schlitzen, ich wickle aus.«
»Das fehlte noch! Was sollen denn die Leute denken, wenn unser Star hier steht und Kisten auspackt?«
»Na und? Bis jetzt kennt mich kaum jemand, außerdem sind die alle noch mit sich selbst beschäftigt. Was soll ich also da drin?«
Verwundert sah sie mich an. »Ich bin ja schon mit einigen Autoren durch die Lande gezogen, aber ich habe noch keinen erlebt, der sich unters Fußvolk mischt, um subalterne Arbeiten zu verrichten. Das macht Sie noch sympathischer.«
»Ach, wissen Sie, ich bin doch noch Neuling in diesem Gewerbe. Nach dem sechsten Buch werde ich mir die nötigen Allüren schon angeeignet haben.« Ich fing an, die eingeschnittene Folie von den Büchern zu ziehen. Sofort nahm Frau Schöninger sie mir weg und drückte mir statt dessen das Messer in die Hand.
»Machen wir’s lieber umgekehrt, Sie schnippeln, ich ziehe. Dabei geht nämlich mindestens ein Fingernagel flöten, vom Lack ganz zu schweigen. Solchen
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