Das hätt' ich vorher wissen müssen
und morgen hängt die Zeitung sowieso auf dem Lokus.«
Schon möglich, aber wütend war ich trotzdem. Wie konnte man mir die Worte so im Mund herumdrehen? In Zukunft würde ich jedes einzelne auf die Goldwaage legen, jeden Satz sorgfältig auf etwaige Sinnentstellungen abklopfen, jedem Mißverständnis vorbeugen – Erfahrungen kann man eben nicht kaufen, aber man kann dafür bezahlen. Und genau das hatte ich gerade getan.
Das RIAS-Funkhaus in der Kufsteiner Straße war groß, grau und sah sehr abweisend aus. Aber genau da sollte ich hinein. Herr Scholz erwartete mich zu einem Interview. Weder kannte ich Herrn Scholz noch wußte ich, weshalb nicht auch er mit seinem Tonbandköfferchen ins Hotel gekommen war, aber wahrscheinlich war er schon arrivierter als sein Kollege von der Konkurrenz und ließ seine Interviewpartner vor Ort erscheinen.
Vor einer Viertelstunde hatte mich Frau Schöninger in ein Taxi gesetzt, war selbst in ein zweites gestiegen und hatte sich mit den Worten verabschiedet:
»Das kriegen Sie doch bestimmt auch alleine hin. Ich hab um drei einen Termin in München, sonst wäre ich mitgekommen. Ihr Hotelzimmer ist bis morgen reserviert, also wenn Sie wollen, können Sie sich nachher noch ins Nachtleben stürzen.«
Ich bezweifelte sehr, ob ich das wollte. Im Augenblick hatte ich nur den einen Wunsch, dieses Interview hinter mich zu bringen, anschließend meinen Koffer zu packen und mich für zwei Nächte bei Vati einzuquartieren, wo ich nicht Frau Sanders war, sondern immer noch »Mutzchen«, und wo ich in Hosen und Pantoffeln herumlaufen konnte. Vorhin hatte ich mich wieder in diese fürchterlichen Stelzen quetschen müssen; ich hatte einfach keine Zeit gehabt, bequemere Schuhe zu kaufen.
Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich die Tür zum Funkhaus öffnete und zur Pförtnerloge stakste. Natürlich war ich mal wieder zu früh da, aber das ließ sich nun nicht mehr ändern. »Herr Scholz erwartet mich.«
»Vierter Stock«, sagte der Uniformierte, »da drüben ist der Fahrstuhl.« Dann griff er zum Telefon.
Oben nahm mich ein junges Mädchen in Empfang. »Wir sind ein bißchen schwer zu finden, deshalb hole ich Sie ab.«
Das fand ich sehr rücksichtsvoll, nur hätte ich mich lieber allein auf die Suche gemacht – mit den Schuhen in der Hand! Nun ging das nicht, und so stolperte ich dezent hinkend hinter meiner Führerin her. Noch ein Korridor, der knickte nach rechts ab, dann kam ein weiterer Korridor, der überhaupt nicht aufhörte, dann endlich eine geöffnete Tür, in deren Rahmen ein sehr aufgeregter Mann stand.
»Frau Sanders? Wunderbar, daß Sie schon da sind. Uns ist der Kultursenator ausgefallen, jetzt haben wir eine Lücke, da schieben wir Sie gleich rein. Ich bin übrigens Peter Scholz.« Er ergriff meine Hand, ließ sie vorsichtshalber nicht mehr los und zog mich in ein kleines Kabuff, das von dem übrigen Raum durch eine Glaswand abgetrennt war. Ich mußte mich vor ein eingebautes Mikrofon setzen, während er den Mannen nebenan letzte Anweisungen erteilte.
»Wenn die Musik durch ist, legt ihr irgendwas von Glenn Miller auf, und nach dem Interview spielt ihr ›Sentimental Journey‹ ein, das paßt ganz gut. Wie lange haben wir noch? Vier Minuten? Okay.«
Wie hypnotisiert starrte ich auf das Mikrofon. Weshalb denn bloß diese Hektik?
»Tja, Frau Sanders, es tut mir leid, daß wir keine Zeit mehr haben, uns ein bißchen abzusprechen, aber ich bin überzeugt, Sie werden es auch ohne Vorbereitung schaffen. Manchmal sind spontane Antworten viel zündender als vorfabrizierte.« Herr Scholz hatte neben mir Platz genommen und fingerte an irgendwelchen Knöpfen herum.
»Sollte ich zuviel Blödsinn reden, dann können Sie die betreffenden Stellen ja rausschneiden.«
Er lächelte. »Das wird sich schlecht machen lassen, wir gehen live über den Sender.«
»Was gehen wir?«
»Hat man Ihnen das nicht gesagt? Tut mir leid, aber das hier ist eine Livesendung.«
Heiliger Himmel! Mein Herz, das immer noch in der Halsgegend rumorte, rutschte einen halben Meter runter und saß jetzt in der Hose. Die Vorstellung, ein paar tausend Hausfrauen würden gleich beim Kartoffelschälen oder Staubwischen mein Gestammel hören, war alles andere als beruhigend. Normalerweise werden doch solche Interviews auf Band genommen, hinterher kann man notfalls daran herumschnippeln, Fehler korrigieren… So gern ich sonst Glenn Miller hörte, jetzt empfand ich jede Note als körperlichen Schmerz. Noch ungefähr
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