Das hätt' ich vorher wissen müssen
Verlust können Sie sich nicht leisten, weil Sie nachher noch signieren müssen.« Dann gab sie mir ein Handtuch. »Binden Sie sich das um, die Wellpappe staubt so.«
Einträchtig standen wir nebeneinander und wickelten Bücher aus. Ich hatte meine Schuhe ausgezogen, hüpfte erleichtert auf Strümpfen herum und war mir meiner mangelhaften Bekleidung gar nicht mehr bewußt, als Verlegers kamen. Sie sehr elegant in Samthose und Seidenbluse, er in Dunkelgrau mit Silberkrawatte. Davor ich mit rotweiß kariertem Küchenhandtuch vorm Bauch und leicht geschwärzten Händen. In solchen Situationen ist natürlich nie ein Fotograf da! Die hockten alle in der schon ziemlich verräucherten Weißbierstube und warteten auf ihren Einsatz. Der kam, als ich offiziell vorgestellt wurde – nunmehr gereinigt, restauriert und wieder vollständig bekleidet.
Die formelle Begrüßung mit anschließender Eloge auf die neuentdeckte Autorin schwappte an mir vorüber, weil ich möglichst unauffällig hinter dem Blumenkübel zu verschwinden suchte, der die untere Hälfte meines Körpers verbergen würde. Da konnte ich mir wenigstens den rechten Schuh ausziehen, der drückte am meisten.
Plötzlich rauschte Beifall auf, jemand reichte mir ein aufgeschlagenes Buch, ich wurde nach vorne geschoben, und dann ging mir endlich auf, daß ich irgend etwas vorlesen sollte.
»Ohne Brille geht das aber nicht«, sagte ich schüchtern. Hier und da verständnisvolles Gelächter, sodann hektische Suche nach der verschwundenen Handtasche (sie fand sich halb unter Pappe vergraben in der Kiste), währenddessen ebenso hektische, wenn auch verstohlenere Suche nach meinem Schuh, in den ich so schnell nicht wieder hatte hineinschlüpfen können, und dann konnte das Programm endlich fortgesetzt werden.
Welche Stelle hatte man denn nun eines Vorlesens für würdig befunden? Ich konzentrierte mich auf den Text.
Aha, die Luftschutzübung. Nicht besonders originell, aber wenigstens nur drei Seiten lang. Ich holte tief Luft und fing an: »Eine weitere amtlich bestellte Person…«
Nun sollte ich vielleicht erwähnen, daß Vorlesen zu den Dingen gehört, die ich überhaupt nicht kann, nie konnte und nie können werde. Schon während meiner Schulzeit erntete ich ungewollte Heiterkeitserfolge, sobald ich die Minna lesen oder – schlimmer noch! – eine von Schillers endlosen Balladen vortragen mußte. Auch Homer wäre in seinem Grabe rotiert, hätte er mit anhören müssen, wie ich seine Hexameter zerstückelt habe. Später ging es mir nicht besser. Wollte ich – ganz liebende Mutter – den Hemdenmätzen eine Gutenachtgeschichte vorlesen, dann winkten sie längstens nach dem vierten Satz ab. »Kannst du nicht eine von den Märchenplatten auflegen?«
Deshalb bewundere ich noch im nachhinein die Geduld des Publikums, das klaglos mein Gestottere über sich ergehen ließ und hinterher sogar klatschte. Wahrscheinlich aus Dankbarkeit, weil’s endlich vorbei war.
Damit war der offizielle Teil beendet, das Büfett wurde freigegeben, und ich konnte Irene begrüßen, die ganz hinten an der Wand saß.
»Das hast du aber fein gemacht, Mädchen. Hast du vorher geübt?«
Zu einer Antwort kam ich nicht mehr. Wir umhalsten uns ausgiebig, wobei ich mehr Schwierigkeiten hatte als sie, dann schob sie mich von sich und musterte mich gründlich. »Eigentlich hast du dich ganz gut gehalten, aber wir sollten uns trotzdem öfter sehen. Dann merken wir weniger, daß wir älter werden.«
»Und breiter!« konnte ich mir nicht verkneifen. Irene hatte eindeutig zugelegt.
»Weiß ich ja. Ich komme vor lauter Arbeit zu gar nichts mehr, nur zum Zunehmen finde ich immer noch Zeit. Jetzt habe ich endlich was gegen mein Übergewicht getan: Ich stelle mich nicht mehr auf die Waage!«
»Sie hat auch gerade erst die dritte kaputtgemacht«, sagte Hans, zwei Stein-Eier für meine Sammlung aus der Tasche ziehend.
»Hier, für jedes Buch eines. Nun schränke deine Produktion ein bißchen ein, man kriegt so schwer Nachschub.«
Zum Quasseln blieb nicht viel Zeit. Frau Schöninger holte mich weg. »Sie müssen arbeiten!«
»Jetzt???«
»Natürlich. Oder haben Sie geglaubt, Sie seien zu Ihrem Vergnügen hier? Da drüben am Tisch sitzt Herr Reichelt von der Morgenpost und möchte ein Interview. Herr Stein von der Buchhandlung Steglitz will sich mit Ihnen unterhalten, und dann liegt da noch ein Stoß Bücher zum Signieren… haben Sie überhaupt schon was gegessen?«
»Wann denn?«
»Ich hole Ihnen
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