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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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vorbei und blieb auf dem Weg, der – mit Blick auf die Inselschule und die Hinterseite des weißen Strandhotels – zu den Randdünen führte.
    Es war so ziemlich genau Mittag, die Sonne zeichnete, einem Scheinwerfer gleich, die Landschaft in Hochglanzprospektfarben: Rauchig-beiger Sand und dunkelgraugrünes Meer mit hellblauen Schaumkronen darauf, davor milchiggrünes Dünengras und die restlichen warmroten Steine, die kantenlos in den Strandaufgang übergingen. Es machte Sanders Spaß, sich Namen für die Farbtöne auszudenken. Er kam nur leider nicht auf einen passenden Ausdruck, der den aufgespannten Himmel über all dem beschrieben hätte.
    Sanders stellte das Rad an ein Geländer und ging die restlichen paar Schritte bis zum Ende der Dünenkette, dann schaute er leicht vornüber gebeugt nach Osten und Westen, kniff die Augen zusammen, als könne er seinen Blick auf diese Weise schärfen.
    Wencke, wo bist du? Nicht am Strand, so viel ist klar. Hier, an diesem mittleren Punkt der Insel, konnte man bei klarem Wetter wie heute wirklich bis ans Ende der Insel gucken, aber bis auf ein paar Pärchen, eine Person mit Hund und eine Reiterin war zwischen Spülsaum und Strandhafer nichts auszumachen. Vielleicht hatte sie die Mailbox inzwischen abgehört und war von der anderen Seite zu Wortreich geeilt. Das war das eine Vielleicht.
    Das andere schlich sich ganz flau in sein Bewusstsein: Vielleicht… war sie gar nicht am Strand. Vielleicht war sie nicht einmal dort angekommen.
    Wencke Tydmers war anfällig für Fallen, eine Art weiblicher Hans-guck-in-die-Luft. Mit den Gedanken sonst wo, mit dem Verstand noch weiter weg und mit dem Kopf in der Schlinge. Konnte es sein, dass ihr etwas zugestoßen war?
    Es war mehr als eine Stunde her, seit sie so wütend von dannen gezogen war. Sanders musste sich zusammenreißen. Er war nicht ihr Beschützer. Sie würde sicher laut auflachen, wenn sie erfuhr, dass er sich Sorgen um sie gemacht hatte. Trotzdem fiel es ihm schwer, zum Fahrrad zurückzugehen und wieder das kurze Stück zurück ins Dorf und dann die paar Meter rechts zu Henner Wortreich zu fahren.

Sonntag, 21. März, 12.23 Uhr
    J etzt war endlich alles raus.
    Seike Hikken wartete auf ein Gefühl der Erleichterung, vielleicht sogar auf ein triumphierendes Herzklopfen. Doch nichts dergleichen stellte sich ein. Nur die Blessuren, die sie sich am Auge zugezogen hatte, klopften und pulsierten schmerzhaft, obwohl Gerrit ihr eine kühlende Salbe aufgetragen hatte. Nun nahm das Glück seinen Lauf, und sie fühlte sich trotzdem niedergeschlagen. Es lag wahrscheinlich an Gerrits Reaktion.
    Sie war so ganz anders ausgefallen, als sie es sich gewünscht hatte.
    Sie standen nebeneinander am Fenster und schauten auf die Straße hinunter. Er hatte zwar den Arm um sie gelegt, aber noch immer kein Wort zu all dem gesagt.
    Paul machte seinen Mittagsschlaf. Astrid war mit Hilfe der Kommissarin vor fast zwei Stunden aus ihrem Haus verschwunden, und Gerrit war vor einer Dreiviertelstunde hier aufgetaucht und hatte zuerst die zerschmetterte Haustür notdürftig mit einer grünen Plastikplane geflickt. Erst dann hatte sie ihm alles erzählt, beinahe in einem Satz war es aus ihr herausgesprudelt, dass sie Astrid alles erzählt hätte und dass diese aus allen Wolken gefallen sei, weil Michel nicht das einzige Kind von Gerrit war, und dass Sanders’ Kollegin sie beherzt vor Astrids wütendem Angriff gerettet hatte, und dass Axel Sanders ihr merkwürdige Fragen gestellt hatte über ein Instrument. Ja, natürlich hatte sie auch erwähnt, dass Astrid behauptet hatte, er hätte gestern mit ihr geschlafen. Da hatte er noch gelacht und sich mit dem Finger an die Stirn getippt, und sie war zu erschöpft gewesen, um ihm zu misstrauen. Und zu guter Letzt, als ihr die Luft schon fast wegblieb, hatte sie ihm von dem neuen Baby erzählt.
    Und seitdem schwieg er.
    »Ich kann dich ja verstehen, Gerrit. Wahrscheinlich habe ich dich echt überrumpelt mit diesen ganzen Entwicklungen. Aber sieh es mal so: Jetzt stehen wir ganz unten im Tal. Es kann also nur noch bergauf gehen, und ich bin mir sicher, dass uns ganz oben ein wunderbares Leben erwartet.«
    Er starrte noch immer aus dem Fenster. Was konnte man dort schon großartig sehen? Den Hof des Fahrradvermieters, den ordentlichen Vorgarten der Pensionswirtin gegenüber. Und die krumme Treppe, die in zwölf steilen Stufen die Dünen hinauf bis zu ihrer Haustür führte, auf der sie gerade Axel Sanders heraufkommen

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