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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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sollen wir jetzt noch machen? Vier Stunden lang? Und dann müssen wir vielleicht wieder hier bleiben?«, schimpfte eine Frau mit Sektflasche in der Hand.
    »Man muss ja davon ausgehen, dass Sie uns verdächtigen…«
    »Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen…«
    »… macht die Polizei ihre Arbeit immer so arschlangsam?«
    Sanders wollte weiterfahren. Er kam gegen dieses empörte Gemecker nicht an, da er ihnen ja auch keine Antwort liefern konnte. Nervös zuckte er mit den Schultern. Und außerdem machte er sich zunehmend Sorgen um Wencke. Sie sollten ihn endlich in Ruhe lassen, er musste doch Wencke finden, Wencke und diesen unberechenbaren Henner Wortreich. Ein alter Mann rüttelte an seinem Gepäckträger herum.
    »Ich habe meine Medikamente nur bis heute Abend eingepackt, wissen Sie, was das bedeutet? Bluthochdruck, junger Mann, das geht auf Ihre Kosten, wenn ich…«
    »Ruhe!«, rief Sanders mit ungewohnter Lautstärke und Entschlossenheit.
    Wow! Stille ringsherum! Sanders war sich seiner Autorität noch nie so bewusst gewesen wie in diesem Moment, wo ein einziges Wort wie ein Hammer gewirkt und das Chaos wieder geordnet hatte.
    Leider blieb keine Zeit, diesen Triumph zu genießen. Vier Stunden, hatte der Shantysänger gerade gesagt, vier Stunden blieben noch, um Wencke zu finden, einen Mörder zu überführen, einen Fall zu klären, die Schiffsverbindungen wieder aufzunehmen. Denn wenn ihnen dies nicht gelänge, dann würden diese Insulaner hier fluchen, toben und alles in Bewegung setzen, vielleicht sogar die Anarchie ausrufen, um von Juist herunterzukommen. Und dann wäre jede Ermittlungsarbeit zum Scheitern verurteilt. Es blieben also wirklich nur diese vier Stunden. Sanders musste handeln. Verflixt noch mal. Ganz allein gegen eine wilde Bande. Ohne Wencke. Nicht zu schaffen.
    Oder?
    »Meine sehr verehrten Damen und Herren!« Sanders hatte mal in einem Rhetorikkurs beigebracht bekommen, dass eine Menschenmasse auf diese Floskel anspringt wie ein Motor auf den Zündfunken. Und es stimmte. Alle scharten sich um ihn herum. Es waren sicher fünfzig Leute, wenn nicht noch mehr, die ihn erwartungsvoll anstarrten. Sanders räusperte sich.
    »Sie können mir glauben, dass wir alle eigentlich dasselbe Ziel verfolgen. Wir wollen den Schiffsverkehr von der Insel wieder aufnehmen.« Dies war wieder ein Trick aus der Kiste wirkungsvoller Redewendungen.
    »Wir haben nur alle auch dasselbe Problem: Die einzigen Personen, die den Startschuss für die Schiffsverbindungen geben können, sind verschwunden und momentan nicht aufzufinden! Meine Kollegin Wencke Tydmers und der Fahrdienstleiter Henner Wortreich sind zum letzten Mal vor zwei Stunden gesehen worden, und obwohl wir per Handy in Kontakt bleiben wollten, habe ich sie bislang nicht erreichen können. Und ich sage es Ihnen ganz im Vertrauen…« – Vertrauen war angesichts dieser ausgeflippten Gruppe natürlich auch nur eine Floskel – »… aber ich mache mir ein wenig Sorgen über den Verbleib der beiden, um eine baldige Instandsetzung des Fährverkehrs zu garantieren. Leider bin ich allein.
    Ich könnte zwar die Feuerwehr alarmieren, doch die Insel ist groß und die Wahrscheinlichkeit, die beiden innerhalb der nächsten Stunden zu finden, dementsprechend klein!«
    »Und wenn wir Ihnen helfen?«, kam eine feste Stimme von ganz hinten.
    »Wir haben ohnehin Langeweile, warum nicht?«, pflichtete eine weitere bei.
    »Ja, wir sagen unseren anderen Insulanern Bescheid. Dann sind wir fast dreihundert Leute und können uns aufteilen und die Insel gnadenlos durchkämmen.«
    Geschäftiges Murmeln setzte ein. Sanders beschloss, noch ein wenig dicker aufzutragen. »Das würden Sie wirklich tun?«
    »Ja!«, schallte es über den Kurplatz und Sanders musste sich ein zufriedenes Grinsen verkneifen, um nicht den feierlichen Ernst der Solidarität zu zerstören.
    Nun stieg er doch vom Rad, schob es an die Gehsteigkante und ging – gefolgt von den Blicken der gespannten Insulaner – ein paar Schritte, bevor er auf den Rand des Schiffchenteiches kletterte. Sie scharrten sich um ihn herum, blickten ihn fest an, warteten auf seine Anweisungen.
    »Ich danke Ihnen allen! Wir können gleich die Suchtrupps einteilen, alle jungen Leute sollten sich Fahrräder besorgen, damit wir auch die Dünen ganz im Westen und Osten abgrasen können. Denken Sie auch an den Strand und die Hellerwiesen!« Er holte tief Luft, kam sich vor wie Robin Hood, der seine Räuberbande über die geplanten

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