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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Geländerstreben waren nur schwer zu erreichen, Astrid nahm die kleine Kinderzahnbürste zur Hand und fuhr damit in die engen Ritzen. Beim Putzen schweiften die Gedanken viel zu oft ab. Wenn sie nun mit dem Kopf bei der Arbeit blieb, bei der Umsatzsteuererklärung zum Beispiel oder bei der großen Anreise bei Ferienbeginn in ein paar Tagen, aber nein. Ihr Kopf war schwach und dachte über die großen Maschen nach, aus denen das Gewebe ihres heilen Lebens gewebt war, und durch die sie früher oder später einmal fallen würde.
    »Sie machen sich aber viel Arbeit«, sagte eine Stimme über ihr und Astrid fuhr erschrocken hoch. Die dicke Frau aus Borkum. Sie hatte sich bemerkenswert leichtfüßig aus der oberen Etage herabgeschlichen, jedenfalls hatte Astrid die Schritte nicht gehört. Hinter ihr stand dicht an der Wand ihr magerer Ehemann, den Astrid seit seiner Anwesenheit noch nie ein Wort hatte sagen hören.
    »Ich mach das in meiner Pension ehrlich gesagt nicht so gründlich. Meinen Sie denn, die Leute sind bei sich zu Hause so pingelig? Ich glaub das ja nicht!«
    »Guten Morgen«, sagte Astrid nur und rückte ein Stück zur Seite. Sie hatte fast vergessen, dass Gäste im Haus waren. Naja, oder so etwas ähnliches wie Gäste. Sie hatte sich bereit erklärt, vier Leute aus Borkum aufzunehmen, auch wenn sie selbst am Inseltreffen nicht teilnahm. Dennoch fühlte sich Astrid als langjähriges Mitglied im Heimatverein verpflichtet, ihren Beitrag für eine gelungene Veranstaltung zu leisten. Zum Glück brauchte sie kein Frühstück zu servieren, es gab Gemeinschaftsverpflegung im Hotel Friesenhof.
    »Ist immer viel zu tun so vor Saisonauftakt, ne?«, fragte die Dicke aus Borkum, die ihre massige Gestalt gegen die Flurwand lehnte und Lust auf ein Schwätzchen zu haben schien. »Wenn wir morgen wieder zu Hause sind, werde ich auch erst mal die Zimmer lüften und dann, na ja, Sie kennen das ja!«
    Astrid nickte.
    »War ein toller Abend gestern, nicht wahr?«
    Astrid blickte kurz auf und erkannte am übernächtigten Gesicht der Frau, dass es wohl nicht nur am Abend toll gewesen sein musste. »Ich habe keine Ahnung, ich bin nicht dort gewesen. Mein Kind, wissen Sie, irgendjemand muss ja auch auf meinen Sohn…«
    »Wir hatten vielleicht ‘nen Spaß. Der Moderator, dieser, hmm, wie hieß er auch noch gleich…«, sie stieß ihren Mann mit dem Ellenbogen in die Seite und Astrid befürchtete, dass der arme Kerl, schwach, wie er aussah, dieser Wucht nicht standhalten könnte. »Schatz, du kennst ihn doch, hast doch schon mal mit ihm geschäftlich zu tun gehabt. Mein Mann ist auf Borkum nämlich auch Antiquitätenhändler.«
    »Kai Minnert«, antwortete Astrid leise.
    »Ja, genau der. Mann, war der komisch. Hat uns alle richtig in Stimmung gebracht mit seinen Döntjes. Der kann ja erzählen, der Junge…«
    Die Dicke beugte sich vor, um Astrid genauer betrachten zu können, wie sie mit der Zahnbürste den gedrechselten Knauf in der Mitte der Geländerstange reinigte. Astrid konnte ein nur angedeutetes Kopfschütteln erkennen. Sie verstärkte den Druck der Borsten.
    »Ach, wo war ich stehen geblieben, ach ja, der Kai Minnert… nee, wir hatten Tränen in den Augen. Schade, dass er so früh weg ist.«
    Astrid unterbrach kurz ihre Arbeit, blickte aber nicht auf. »Wer ist früh weg?«
    »Na, der Lustige, dieser Minnert. Ist noch Grünkohlkönig geworden und dann isser abgehauen, noch vor elf Uhr war das. Wirklich schade drum, ich hätte gern ein bisschen mit ihm getanzt.«
    Astrid schrubbte weiter. Sie mochte solche bunten Abende nicht, wenn alle zu viel tranken, zu laut sangen und sich in den Armen lagen, obwohl sie sich eigentlich nicht ausstehen konnten. Und sie fand auch nicht, dass Kai Minnert ein lustiger Kerl war, ganz im Gegenteil. Die Dicke sagte noch etwas, ihr Mann nicht, doch sie hörte sowieso nicht mehr hin, und als Astrid mit ihrem Lappen an der untersten Treppenstufe angekommen war, war sie wieder allein im Flur.
    Sie ging vor die Tür, um den Staublappen auszuschütteln, und hörte einen Hubschrauber landen. Nur in dringenden Fällen flogen sie den Hafen an, und dann waren die Rotoren im ganzen Ort zu hören und jeder fragte jeden, wer denn wohl so krank wäre, dass der Helikopter kommen musste.
    Astrid schaute auf die Uhr, es war kurz vor neun. Ziemlich früh für einen Hubschrauber, dachte sie.
    Dann ging sie wieder ins Haus, sie hatte sich heute noch vorgenommen, die Gardinen im Lesezimmer zu waschen. Es war

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