Das Hagebutten-Mädchen
heute.«
Samstag, 20. März, 9.28 Uhr
U nd wann?«
Tjark Bonnhofen stand mit dem Handy am Ohr auf den Stufen vor dem Hotel Friesenhof und alle naselang drängten Leute an ihm vorbei und gingen zum Frühstück. Er hasste die Ungeduld seines Gesprächspartners und er hasste es, nicht ungestört telefonieren zu können. Also ging er ein paar Schritte über die Straße und setzte sich auf den Beckenrand des ovalen Schiffchenteiches.
»Meine Güte, Sie können Fragen stellen. Ich habe es eben erst erfahren. Was soll ich dazu noch sagen? Er ist tot. Mausetot. Und aus diesem Grund kann ich nun mal keine Verhandlungen mehr mit ihm führen, das sollte Ihnen einleuchten.«
»Bonnhofen, sind Sie schwer von Begriff? Ich habe Sie nicht zum Feiern auf die Insel geschickt, sondern damit Sie meine Interessen vertreten. Und wenn der erste Vorsitzende des Heimatvereins nicht mehr unter den Lebenden weilt, dann kontaktieren Sie seinen Vertreter. Das kann doch nicht so schwer sein!«
»Haben Sie mir nicht richtig zugehört? Kai Minnert ist allem Anschein nach ermordet worden. Vor fünf Minuten spazierte die Polizei an mir vorbei, um die Untersuchungen am Tatort vorzunehmen. Es ist ein schlechter Zeitpunkt, um Ihre Interessen zu vertreten, Dr. Johannsen.«
Ein paar Sekunden schwieg der Mann am anderen Ende der Leitung. Verdammte Scheiße, dachte Tjark Bonnhofen, ausgerechnet bei diesem Auftraggeber muss sich eine solche Katastrophe ereignen. Wann bekam man schon einmal einen Anruf aus den höchsten Kreisen? Gut, er hatte in seinem Job bereits mit etlichen Prominenten zu tun gehabt, die sich ein Häuschen auf einer der ostfriesischen Inseln kaufen wollten. Die Nachrichtensprecherin zum Beispiel, die nach der Trennung von ihrem untreuen Mann bei dem Medienrummel eine Fluchtmöglichkeit suchte. Sie hatte ihn in seinem Norderneyer Büro angerufen und er hatte ihr ein reetgedecktes Haus auf Spiekeroog vermittelt. Doch als sich Dr. Johannsen vor zwei Wochen bei ihm gemeldet hatte, da hatte er beim Telefonieren vor Aufregung sein Jackett ausziehen müssen. Dr. Claus-Bodo Johannsen aus Berlin wollte über »Bonnhofen Inselimmobilien« ein Haus auf Juist kaufen. Klein und hübsch sollte es sein, in zentraler, aber ruhiger Lage, viel Grün drum herum, eben ein typisches Inselhäuschen. Der Himmel weiß, was Johannsen damit wollte. Und Bonnhofen hatte sich informiert. Es gab ein solches Objekt, das Vereinshaus Inselhuus war wie auf den Wunsch seines Klienten zugeschnitten.
»Ich habe weiß Gott andere Sorgen, sehr verehrter Herr Bonnhofen. Wir stehen kurz vor der wahrscheinlich wichtigsten Entscheidung meiner Karriere, wie Sie sicher schon aus den Medien erfahren haben. Denken Sie an die katastrophalen Überschwemmungen in meinem Wahlkreis, an die anstehenden Steuererhöhungen, an diese halbherzige Rentenpolitik. In meinem Job habe ich, weiß Gott, genug zu regeln. Und aus diesem Grund habe ich mir auch einen Makler genommen, der mir wenigstens beim Kauf des passenden Ferienhauses lästige Arbeit abnimmt.«
Bonnhofen malte sich das Gesicht seines Gesprächspartners aus. Ob Claus-Bodo Johannsen wohl auch dieses väterliche Lächeln auf den Lippen trug, wenn er nicht im Dienst war? Er war diesem Mann noch nicht persönlich begegnet. Das würde sich ändern, wenn er das Geschäft erst einmal perfekt gemacht hätte. Und wenn sich erst mal einer von ihnen auf der Insel niedergelassen hatte, dann kämen sicher noch mehr von seiner Sorte. Und dann würde Bonnhofen ganz selbstverständlich bei den ganz Großen ein und aus gehen. Und er würde vielleicht sogar eine Art Vertrauter der wichtigsten Personen im Lande, eventuell sogar ein Freund. Oh ja, ein wirklich verlockender Gedanke, dem Tjark Bonnhofen da nachhing.
»Dr. Johannsen, Sie können sich sicher sein, ich bleibe am Ball. Das Inseltreffen dauert noch bis morgen Abend, es wird sich sicher eine Gelegenheit bieten, die verantwortliche Person auf das Inselhuus anzusprechen. Und dann melde ich mich umgehend bei Ihnen. Zwei Tage, höchstens! Versprochen!«
»Gut, ich werde in München zu erreichen sein, da ich seit was weiß ich wie vielen Monaten das erste Mal ein freies Wochenende bei meiner Familie habe. Meine Privatnummer haben Sie ja. Zwei Tage, Bonnhofen, ich nehme sie beim Wort. Montagmorgen rufe ich bei Ihnen an.« Dann beendete Dr. Johannsen das Gespräch. Wie elektrisiert hielt Bonnhofen das Handy noch eine Zeit lang an sein Ohr. Er hatte die Privatnummer von einem der wichtigsten
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