Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
Vom Netzwerk:
kämmte sein Haar, cremte seinen Schwanz, legte Rasierwasser auf und zog Hemd und Jeans an. Dann trat er vor das Kinderzimmer und spähte durch den Spalt. Seinen Bären im Arm, schlief der Junge. Lange Wimpern, gläserne Stirn und Himbeermund. Er musste daran denken, wie oft sein Sohn mitten in der Nacht aufwachte. Er rief dann immer nach ihm, »Papi«, rief er, erst leise, dann laut und voller Angst. Seine Haare klebten am Kopf, er weinte, manchmal hatte er Nasenbluten. Von weit her kam diese Erinnerung zu ihm. Er zog die Tür ins Schloss und ging nach unten. Er sah, wie seine Hand die Autoschlüssel vom Haken nahm. Die Laterne goss ihr Licht über seinen Wagen aus. Er setzte sich in den Wagen und steckte den Schlüssel ins Schloss. Es gab eine Fehlzündung. Wie vom Schlag gerührt, saß er da. Es war, als sei der Strom in die falsche Richtung geschossen, durch seinen Arm in seinen Körper. Auf einmal war er schlafensmüde. Mit letzter Kraft stieß er die Wagentür auf, stolperte zurück ins Haus, die Treppe hinauf und legte sich vor das Bett seines Jungen. Sofort schlief er ein. Im Morgengrauen weckte ihn seine Mutter. Warum er da auf dem Boden liege, fragte sie ihn, barsch flüsternd, und wieso die Haus- und die Wagentür sperrangelweit offen stünden. Ob er getrunken habe. Aber er hatte nicht getrunken.

3. Deckname
    18.09.81  
    . . . . . . . . . .
     
     
    V e r p f l i c h t u n g
     
     
    Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR ist ein zentrales Staatsorgan.
    Ihm wurden umfassende Sicherungsaufgaben zum Schutz der DDR übertragen.
    Diese Aufgaben kann das MfS nur in enger Zusammenarbeit mit Bürgern der verschiedenen Klassen und Schichten lösen. Eine Zusammenarbeit zwischen Bürgern der DDR und dem MfS entspricht dem Artikel 7 der Verfassung der DDR.
    In Erkenntnis dieser Aufgaben werde ich das MfS auf freiwilliger Grundlage unterstützen.
     
    Ich bin bereit, mir bekanntwerdende Erscheinungen über feindliche Aktivitäten von Personen oder andere interessante Informationen in vereinbarter Form dem mir bekannten Mitarbeiter des MfS zu übergeben.
     
    Diese Form der Zusammenarbeit trägt inoffiziellen Charakter und ist dementsprechend gegenüber jedermann geheim zu halten. Ich verpflichte mich, die Geheimhaltungspflicht nicht zu verletzen.
    Es gehört zu den Methoden feindlicher Geheimdienste, solche Verbindungen aufzuspüren und sie für ihre verbrecherische Tätigkeit gegen Bürger der DDR auszunutzen.
     
    Auf Grund des konspirativen Charakters der Zusammenarbeit werde ich schriftliche Hinweise und Berichte mit dem Decknamen
     
    S e e l e
    . . . . . . . . . . .
     
    unterzeichnen.
     
    ■■■■ ■■■■■■■

II
    WINDBEUTEL IN
GEDRÜCKTER STIMMUNG
    Dezember 1981 – Februar 1982

 
    Aus einem kleinen Fehler kann man stets einen
    ungeheuerlich großen machen, wenn man
    auf ihm beharrt, wenn man ihn tief begründet,
    wenn man ihn zu Ende führt.

4. Drei Koffer
    Als Erster kommt Mo. Schon am Nachmittag, lange vor der Zeit. Plötzlich tritt er in die Küche, groß, schwer und dunkel, hebt eine Wodkaflasche in die Höhe und ruft: »Die Volkssolidarität gratuliert der Jubilarin mit einem Ahoi!«
    Polina steht am Herd und lächelt in die Töpfe. Nur ganz kurz lächelt sie. »Schön, dass du da bist.«
    Mo hält Polina seine Hand entgegen. Sie legt die Kelle beiseite, wischt sich die Rechte an der Schürze ab und reicht sie ihm. Er neigt seinen Kopf und deutet unter schrägem Blick einen Handkuss an. Sie sieht auf ihn hinab und sagt: »Tu sie aufs Fensterbrett.« Unter der Schürze trägt sie das blaue Kleid.
    Am Tisch mit dem Igelittuch sitzt Jakob, ihr Enkelsohn, und schneidet Gemüse. Mo zwängt sich an ihm vorbei, öffnet das Fenster und stellt die Flasche zu den drei anderen auf das Zinkblech. Die Kälte streicht dem Jungen über das Haar, noch bevor Mo es tut.
    »Ahoi, du Leichtmatrose«, sagt Mo.
    »Ahoi, Mo.«
    »Moskau 1980, Zehntausend?«
    Der Junge grinst. »Miruts Yifter. Weiß doch jeder.«
    »Zeit?«, fragt Mo und windet sich aus seinem schweren Mantel mit den ausgebeulten Taschen, in den der Dezember Kohle und Frost geatmet hat.
    »Siebenundzwanzig zweiundvierzig«, sagt Jakob, »letzte Runde dreiundfünfzig.«
    »Alle Achtung«, sagt Mo, »du hast dir eine Belohnung verdient.« Er betastet die Manteltaschen, bis er ein schmales Etui daraus hervorzieht, das er dem Jungen reicht. »Mit Stoppfunktion.«
    »Kann nicht sein, Mo«, ruft Jakob, und seine Finger wandern über die

Weitere Kostenlose Bücher