Das Halsband der Königin
der Leser, in welch beklagenswertem Zustand wir Herrn de Charny verließen. Während man im Vorzimmer der Königin sich um ihn bemühte, trat unvermutet der König hinzu, der seiner Gemahlin einen Besuch machen wollte, und als er den jungen Helden erkannte, befahl er, den Ohnmächtigen sofort seinem Leibarzt, Doktor Louis, zu übergeben.
Doktor Louis ließ den Kranken, der stark zu fi ebern begann, in seiner Wohnung in ein Bett legen. Als er den jungen Mann untersuchte, entdeckte er die frische Wunde, die er in entzündetem Zustand fand. Dennoch beunruhigte den Doktor diese Entzündung weniger als die nervliche Verfassung seines Patienten.
Charny redete im Fieber so heftig und so wirr, daß der Arzt zu Recht vermutete, nicht die Wunde könne die Ursache dafür sein, sondern ein schwerer seelischer Konfl ikt müsse diesem Delirium zugrunde liegen.
Anfangs wollte der Doktor nicht auf die wilden Phantasien seines Kranken hören, doch kehrte der Name der Königin so häufi g darin wieder, daß er ihnen Beachtung schenken mußte. Schließ-
lich war es dem königlichen Leibarzt strenge Pfl icht, die Ehre und den Ruf Ihrer Majestät zu schützen. Welche Peinlichkeiten könnten sich ergeben, wenn Bediente diesen Reden lauschen würden. Und was geschähe, wenn von seiten des Königs jemand geschickt würde oder wenn der König selbst käme, um seinem Schutzbefohlenen einen Krankenbesuch zu machen? Der Doktor geriet in arge Bedrängnis. Er wußte sich schließlich keinen anderen Rat, als den Rat der Königin einzuholen. Da aber sah er sich bereits Madame de Miséry gegenüber, die ins Krankenzimmer eintreten und im Auftrag Ihrer Majestät über das Befi nden des jungen Offi ziers sich unterrichten wollte.
»Ich gehe selbst zur Königin«, fertigte der Doktor die eifrige Dame kurz ab.
Madame de Miséry hatte Not, mit dem Doktor Schritt zu halten.
Die Königin wartete auf Madame de Miséry, auf den Doktor war sie nicht gefaßt.
Ohne allzu große Umständlichkeit machte der wackere Herr Ihrer Majestät klar, daß der junge Mann nicht an einem üblichen Fieber kranke und daß es ihm wünschenswert erscheine, wenn die Majestät seinen Phantasien selbst lausche, um sich von ihrer Bedenklichkeit zu überzeugen.
Marie-Antoinette ließ sich von dem Doktor durch etliche Gänge führen, die sie nicht gekannt, und blieb im Vorzimmer der Krankenstube, während der Arzt eintrat und die Tür ange-lehnt ließ.
Charny brachte in seinem Fieberwahn die verschiedenen Begeg-nungen, die er mit der Königin gehabt, bunt durcheinander.
»Eine Deutsche«, wiederholte er immer wieder, nachdem er von jener ersten Begegnung in Paris gesprochen, als er die Königin und Andrée aus der aufgeputschten Menge geführt hatte.
»Eine Deutsche, ja, das wissen wir jetzt«, sagte Doktor Louis.
»Die Königin von Frankreich!« rief der Kranke. »Ach, das Entsetzen, einen Engel zu lieben, wie wahnsinnig zu lieben, und eine Königin zu fi nden in Seide und Gold, aber kein Herz, kein Herz …«
Immer toller steigerte sich diese Redewut, in immer irrwitzige-ren Vorstellungen äußerte sich diese hoffnungslose Liebe, dann aber trat ein überraschender Umschwung ein, der Kranke verstummte und sank in Schlaf.
Der Doktor trat zur Königin hinaus. Erregt und bleich stand sie vor ihm.
»Sie haben recht«, sagte sie, »der junge Mann liefe große Gefahr, wenn man ihn hörte. Sorgen Sie dafür, daß ihm niemand zu nahe kommt, und beschleunigen Sie seine Heilung. Geben Sie mir laufend Bericht über sein Ergehen.«
Nachdenklich blickte der Arzt der Königin nach und murmelte kopfschüttelnd: »Es gibt in diesem Schloß Geheimnisse, die nicht in mein Fach schlagen. Nun, wie dem sei, ihre Nähe scheint den Patienten besänftigt zu haben. Hoffen wir, daß diese heilsame sympathetische Wirkung anhält und uns vor ernste-ren Schwierigkeiten bewahrt.«
Plötzlich fuhr er zusammen. Etwas wie das Rauschen eines Seidenkleides war draußen zu hören.
»Wer ist denn das wieder?« brummte Doktor Louis und ging hinaus.
Im Vorzimmer war niemand. Er steckte den Kopf hinaus zum Gang. Dort war es dunkel, aber das Mondlicht ließ eine Frauen-gestalt erkennen, die sich kläglich in eine Ecke drückte. Hatte man von diesem Gang aus die Reden des Fiebernden hören können? Der Doktor war sich nicht sicher.
Behutsam näherte er sich der Frau und erkannte Fräulein de Taverney, die kaum bei Sinnen schien. Ihre schmerzlich gewei-teten Augen starrten ins Leere. Ihre sonst so
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