Das Handwerk des Toetens
»Du kannst es nur von dort haben, denn im Film kommt es nicht vor.«
Er war erst kurz davor für ein paar Tage von Zagreb nach Graz gefahren und hatte sich die Szene bei Freunden noch einmal angesehen und genoß es jetzt, mich über die Details zu informieren, aber so sehr er sich auch bemühte, seine Ironie doppelt und dreifach hervorzukehren, ich wußte, er dachte an Allmayer, und etwas in seiner Stimme spielte nicht mit, als er mich fragte, ob er mir die letzten Worte des Sterbenden wiederholen sollte.
»Winnetou hört in der Ferne die Glocken, die ihn rufen«, begann er dann auch schon, ohne auf eine Antwort zu warten, und viel ernster, als ihm wahrscheinlich lieb war. »Ist es nicht so, mein Bruder?«
Er lachte, aber es klang allzu gewollt.
»Mein Bruder, Winnetous Seele muß gehen.«
Da erinnerte ich mich auf einmal selbst wieder daran und nahm ihm den nächsten Satz ab, sprach ihn wie ein unbeteiligter Sprecher in einem Radiostück.
»Winnetou ist bereit.«
Er lauschte und flüsterte dann fast.
»Leb wohl.«
Der Rest war nicht mehr zu hören, bevor er von neuem lachte, und ich weiß nicht, worüber wir bei dieser Gelegenheit sonst noch geredet haben, aber als wäre das nicht schon verdreht genug, brachte er wenige Tage später wieder Helena ins Spiel, als er einmal mehr von Allmayer und der Unglücksstelle im Kosovo sprach, und allein wie er das tat, machte ihn für mich endgültig zu einem Verrückten. Er hatte immer schon, wenn es um seinen Roman ging, die verstiegensten Ideen gehabt und mich nach meiner Meinung gefragt, aber was er jetzt mit ihr vorhatte, übertraf alles Bisherige, und ich wundere mich noch, daß ich überhaupt darauf eingegangen bin und so lange gebraucht habe, ihm zu sagen, er solle mich mit seinen Spinnereien in Frieden lassen. Dabei kann ich mir vorstellen, daß er womöglich gar nicht wußte, wie sehr er diesmal alle Grenzen gesprengt hatte, und es wäre müßig gewesen, es ihm zu erklären, er hätte sich wahrscheinlich nur ganz und gar unschuldig erkundigt, warum ich mich so anstellte, was mit mir los war, ob ich mich gar in sie verliebt hatte oder ihm sonst einen Grund nennen konnte, warum ich plötzlich so zimperlich tat.
Ich hatte den Nachmittag in ihrer Gesellschaft verbracht und sie eingeladen, noch mit zu mir zu kommen, und genau als ich die Tür aufsperrte, klingelte das Telephon, und er fing an zu sprechen, ohne daß er auch nur seinen Namen erwähnt hätte. Ich war mit ihr zuerst an der Elbe gewesen und dann in dem Café in der Hafenstraße, in dem ich auch mit ihm einmal gesessen war, sie hatte leichter gewirkt als sonst, geradeso, als wäre die Schwere ihrer Herkunft von ihr abgefallen, hatte viel gelacht, wieder und wieder nach meinem Arm gefaßt und mich mit einer kehligen Stimme unverbesserlich genannt, als ich immer neue Anläufe nahm, ihr den Kopf wirr zu reden, und mich jetzt mit ihm zu unterhalten, war das letzte, was ich mir vorstellen konnte. Ich hörte noch, wie sie gesagt hatte, ich solle aufhören mit meinen Dummheiten, und ihr Kichern, als ich weitermachte, und mochte mich nicht mit seinem Gequatsche herumschlagen, aber ein Wort gab das andere, und ich kam nicht mehr von ihm los.
Es war beileibe nicht das erste Mal, daß er über ihre Rolle in seinem Roman sprach, aber entweder lag es an ihrer Anwesenheit, warum ich auf einmal so sehr abgestoßen davon war, oder an der Dreistigkeit seiner Phantasien und daran, daß er sich nicht mehr bemühte, auch nur irgendeinen Unterschied zwischen ihr und der Figur zu machen, für die sie offensichtlich die Vorlage war.
»Ich könnte sie auf meiner Fahrt zur Unglücksstelle mitnehmen«, sagte er ganz direkt, nachdem er eine Weile unschlüssig herumgeredet hatte. »Für mich wäre es schon interessant, wenn ihr dort etwas zustoßen würde.«
Allein das hätte mich warnen müssen, aber ich war nicht geistesgegenwärtig genug, ihn zu stoppen, machte nur einen halbherzigen Versuch, und während Helena flüsternd fragte, ob er es war, und ich nur nickte, setzte er schon nach.
»Wir könnten in einen Hinterhalt geraten.«
Das war so absurd, daß ich nichts erwiderte und an ihr vorbeischaute, während er sich im Detail ausmalte, wie es wäre, seine Stimme ohne Regung, monoton und heiser.
»Wenn ich mir vorstelle, daß sie in die Hände eines Bandenführers fällt, ist das doch ziemlich ergiebig«, begann er von neuem, ohne davon im geringsten bekümmert zu sein. »Es müßte ihr nicht unbedingt das Schlimmste
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