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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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und ich weiß noch, für wie übertrieben ich es zuerst hielt, wie Helena ihn beschrieb, bis er schließlich auch in meinem Kopf zu einer Karikatur seiner selbst wurde, ein vierschrötiger Kerl mit fettigen Haaren, wenn ich ihr glauben wollte, der sich, beide Daumen lässig im Gürtel und ein Stück Zahnstocher im Mund, direkt vor Allmayer aufbaute. Es war nicht das unter seiner Jacke sichtbare Pistolenhalfter, das ihn so bedrohlich machte, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der er sich gab, sein Gebaren eines Filmhelden, wie sie sagte, und ich sehe ihn vor mir, wie er ihn von oben herab ansprach. Ich hätte ihre genaue Schilderung nicht gebraucht, ich kann mir auch so vorstellen, wie er sich nach dem Interview erkundigte und ihm allein durch sein unaufhörliches Grinsen zeigte, daß er über alles Bescheid wußte, wie er ihm eine Hand auf die Schulter legte, sie schwer dort liegen ließ und dann den Satz von sich gab, den sie wortwörtlich zitierte, sein Gesäusel, er habe nicht den geringsten Zweifel, daß eine schöne Geschichte daraus würde, wie er zu allem Überfluß auch noch wiederholte, eine schöne Geschichte, nicht wahr, eine schöne Geschichte.
    Dabei habe er Schreyvogel die ganze Zeit keines Blicks gewürdigt und ihm erst kurz vor seinem Abgang zugenickt, als wäre er ein alter Bekannter.
    »Anscheinend hat er vorher noch den teuersten Wein bestellt und dann mit ihnen angestoßen«, sagte sie. »Darauf soll er sie spöttisch meine Herren genannt haben und, ohne einen Schluck zu trinken, genauso plötzlich aufgebrochen sein, wie er gekommen ist.«
    Das war eigentlich Warnung genug, aber dann kam auch noch der Anruf, am nächsten Tag, auf ihrer gemeinsamen Fahrt nach Graz, und da war die scheinbar leicht hingeworfene Bemerkung, ihrem Freund geht es nicht gut, er hat geplaudert, und Allmayer wußte sofort, gemeint war sein Dolmetscher. Er brauchte keine halbe Stunde, bis er die Gewißheit hatte, er war umgebracht worden, erschossen beim Verlassen seines Hauses, und wenn er die Botschaft davor noch nicht verstanden hätte, mußte er spätestens da wissen, was von ihm erwartet wurde. Alles andere war bekannt, die harmlose Fassung des Interviews, die er publiziert hatte, ohne den Toten auch nur mit einem Wort zu erwähnen, und es blieb eine elende Geschichte, die er selbst nicht mehr wiedergutmachen konnte, eine Leerstelle, das Gefühl eines allzu abrupten Endes, ohne daß es wirklich ein Ende war.
    Darüber ließ Helena sich dann nicht weiter aus, und ich erfuhr die Fortsetzung erst ein paar Tage später, als Paul mich anrief und erzählte, wie schwer es Allmayer angeblich gefallen war, damit umzugehen.
    »Er hat sich vorgeworfen, schuld daran zu sein«, sagte er. »Womöglich erscheint es angesichts dessen nur um so feiger, doch es ist ihm wohl gar nichts anderes übrig geblieben, als nicht darüber zu schreiben.«
    Ich hätte ihn am liebsten daran erinnert, daß er sich nicht davon hatte abhalten lassen, ihm seine Frau nach Schladming zu entführen, aber er kam selbst darauf zu sprechen und spekulierte einmal mehr, warum sie überhaupt so vertraut mit ihm gewesen war.
    »Vielleicht hat er ihr alles erzählt«, sagte er, als wäre er selbst nicht wirklich überzeugt davon. »Er könnte sich im ersten Überschwang bei ihr ausgeheult haben.«
    Doch dann verwarf er es auch schon.
    »Wenn es so gewesen wäre, hätte sie mich eingeweiht.«
    Er brauchte sie nur zu erwähnen, sofort hörte sich seine Stimme wieder verloren an, und er wurde ganz leise, als er sagte, es hätte ihm weniger ausgemacht, ihn mit ihr anzutreffen, wenn ihm klar gewesen wäre, was er gerade hinter sich hatte. Das klang einmal mehr nach Schönfärberei, aber offensichtlich glaubte er daran, war er sich sicher, daß er dann wenigstens gewußt hätte, was mit ihm reden, statt schweigend dazustehen und den Anschein zu erwecken, er wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben und sei einzig und allein sie abholen gekommen. Auf einmal behauptete er sogar, es hatte geschneit, und sie wären zu dritt durch knöchelhohen Schnee gegangen, sie in ihrer Mitte, aber das schien ihm schon im nächsten Augenblick zu viel zu sein, wirkte auch auf ihn bloß wie eine dreiste Ausschmückung, und er unterbrach sich mitten im Satz und lachte, als könnte ihm gar nichts Verrückteres einfallen.
    Dann sprach er davon, daß Allmayer zwei Tage später zum Begräbnis seines Dolmetschers gefahren war, und verzettelte sich dabei in die unwichtigsten Details.
    »Ich

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