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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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zutritt und sich auch noch in deiner eigenen Sprache mit dir unterhält, macht es das vielleicht nur um so schlimmer.«
    Ich weiß nicht, warum mir nicht da schon aufgefallen ist, wie fasziniert er davon war, wie sehr er angezogen zu sein schien von der Situation, an der er richtiggehend herumtüftelte, wie sehr bei allem Grauen, das ihn auch packte, ein unübersehbarer Kitzel im Vordergrund stand. Erst jetzt, da ich ahne, daß es gerade das Unvorstellbare war, das ihn nicht hat aufhören lassen, sich noch die letzten Details auszumalen, wird mir allmählich klar, worum es ihm ging, erst seit ich beginne, das Paradoxe daran zu verstehen, verstehe ich auch die Lust, die es ihm offenbar bereitete. Tatsächlich hatte es so wenig mit der Wirklichkeit zu tun, die er kannte, daß er es sofort ins ganz und gar Unwirkliche verschob, und ich nehme an, es sind die Freiheiten beim Erzählen gewesen, die ihn begeistert haben, sein Nichtwissen, das alle Möglichkeiten offen ließ, das Spekulierenkönnen, das Erfinden und Verwerfen von Varianten, das für ihn keinen Anfang und kein Ende hatte.
    »Da steht einer vor dir, brüstet sich, ein paar Jahre irgendwo in Deutschland gearbeitet zu haben, und fragt dich, woher du kommst, und du weißt nicht, was du antworten sollst«, fing er von neuem an, und seine Stimme war auf einmal ohne Höhen und Tiefen. »Schließlich fuchtelt er dabei die ganze Zeit mit einem Messer vor deinem Gesicht herum und hört nicht auf zu grinsen.«
    Überrascht, wie ich war, tat ich ihm den Gefallen, mitzuspielen, auch wenn ich nichts als einen gestelzten Satz zustande brachte, mich blödsinnig darüber ausließ, daß ein Ort so gut wie der andere war, bis er mir schließlich ins Wort fiel.
    »Ich fürchte, du irrst dich.«
    Das sagte er, als würde er keinen Widerspruch dulden.
    »Gerätst du zufällig an den richtigen, oder er mag aus irgendeinem Grund auch nur den Namen, bietet er dir eine Zigarette an und nennt dich Kollege«, fuhr er dann fort. »Wenn du Pech hast, kriegst du am Ende sogar eine Umarmung, und er schnieft und sabbert dir das Hemd voll wie ein großer, trauriger Hund.«
    Es war wahrscheinlich ganz nach seinem Geschmack, daß ich eine möglichst gewichtige Pause machte, als wartete ich auf meinen Einsatz, und dann genau das von mir gab, was er für mich vorgesehen hatte.
    »Und was, wenn es nicht so ist?«
    Er reagierte nicht gleich, und ich setzte nach.
    »Angenommen, du sagst etwas Falsches.«
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte er. »Ich kann mir nur vorstellen, daß du dich auf alle Fälle davor hüten solltest, wenn dir dein Leben lieb ist.«
    Wir hätten stundenlang so reden können, stundenlang ohne Ergebnis, und ich ahnte erst später, daß es ihm darum auch gar nicht gegangen war, daß er statt dessen an mir eine Romanszene erprobt hatte, einen dramatischen Dialog. Es war eigenartig, ihn so zu erleben, zumal er von dem Ereignis nicht mehr wußte, als daß es stattgefunden hatte, und sich alles andere in seinem Kopf abspielte oder einzig und allein für mich erfunden war. Vielleicht glaubte ich ihm auch deshalb nur zögernd, als er erzählte, er habe Allmayer damals nach dem Treffen mit Helena noch nach Hause gebracht und sei auf sein Geheiß am Schulterblatt oder in der Schanzenstraße an einem kroatischen Lokal vorbeigefahren, in dem dann tatsächlich ein paar nicht anders als finster zu nennende Gestalten an der Theke gehangen waren, vor einem laufenden Fernseher, und auf das einen Augenblick davor haltende Auto gestarrt hatten, als fühlten sie sich belauert.
    »Damit hat er natürlich seinen Triumph gehabt«, sagte er. »Es muß für ihn wie eine Bestätigung all seiner Vorbehalte gewesen sein.«
    Ich sah ihn zweifelnd an.
    »Das ist doch Unsinn.«
    Ohne daß ich nachgedacht hatte, war mir das herausgerutscht, und ich bemühte mich im nächsten Augenblick auch schon, es abzuschwächen.
    »Du kannst dir jede beliebige Spelunke aussuchen und das gleiche erleben, wenn darin nur die richtigen Säufer verkehren«, fuhr ich fort. »Wie du weißt, spielt es dann nicht die geringste Rolle, was sie darüber hinaus sind.«
    Ich hatte Angst, ihn beleidigt zu haben, so abrupt war nach diesem langen Gespräch sein Aufbruch, aber weil mich die Geschichte längst nicht mehr losließ, verabredete ich mich mit ihm gleich für den folgenden Mittag im Marinehof in der Admiralitätsstraße, wo ich allein schon hinwollte, um später wahrheitsgemäß schreiben zu können, daß wir uns dort trafen.

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