Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Diener ihm Schale und Becher vorgesetzt hatten, und nickte dem alten Falibor an seiner Seite zu. »Ich glaube, ich erinnere mich an dich. Du hast mir meine erste ernsthafte Fechtlektion erteilt, Väterchen.«
»Das kann nicht sein«, gab Falibor grantig zurück. »Es wäre deine letzte gewesen. Söhnchen .«
Ratibor neigte den Kopf, um Falibor zu bedeuten, dass seine Bemerkung nicht als Respektlosigkeit gemeint gewesen war, und der alte Krieger entspannte sich.
»Glückwunsch zu deinem Sohn, Tugomir.« Blinzelnd sah Ratibor zur Frauentafel hinüber. »Der blonde Engel in Blau ist dein sächsisches Weib?«
»Ganz recht.« Tugomir wappnete sich für eine zotige Bemerkung und schärfte sich ein, seine Fäuste unter Kontrolle zu halten, aber Ratibor übte sich in untypischer Zurückhaltung.
Irritiert schaute Tugomir ihn an und stellte fest, dass sein Gast völlig erstarrt zu sein schien. Immer noch schaute Ratibor zum Frauentisch hinüber, die Lippen leicht geöffnet, aber es war nicht Alveradis, die er mit seinen Blicken entkleidete.
»Bei allen Heiligen … Wer ist das, Tugomir?«
»Wen magst du meinen?«
»Du weißt ganz genau, wen ich meine. Los, raus damit.«
»Schlag sie dir aus dem Kopf.«
»Warum? Ist sie verheiratet?«
»Nein.«
»Sagst du mir jetzt, wer sie ist, oder muss ich alle guten Vorsätze und Friedensabsichten begraben und die Klinge gegen dich ziehen?«
»Eine angelsächsische Prinzessin.«
»Zu fein für mich, meinst du?«, es klang entrüstet.
Tugomir schüttelte langsam den Kopf. »Zu traurig. Lass sie in Ruhe, Ratibor. Das ist das Einzige, was sie will.«
Der Fürst der Obodriten stützte den Ellbogen auf die Tafel, das Kinn auf die Faust und sah Tugomir an. »Bist du sicher?«
»Hier.« Tugomir reichte Ratibor einen randvollen Tonbecher. »Trink das.«
Der Fürst der Obodriten schnupperte neugierig. »Wein?«, fragte er erstaunt.
Tugomir nickte. »Unter anderem.«
»Du meinst es wirklich gut mit mir …« erwiderte Ratibor genießerisch, setzte den Becher an und leerte ihn in wenigen großen Schlucken.
Sie standen im Innenhof der Burg, wo Tugomir zwei Schemel auf die Wiese vor der Halle gestellt hatte. Der Morgen war windig, aber sonnig und klar. Es hätte kaum besser sein können.
Drei Krieger, ein junger Jarovit-Priester, zwei Frauen und einer von Widukinds Mönchen waren in der Nähe stehengeblieben und sahen neugierig zu ihnen herüber. Auch die Wachen auf dem Wehrgang blickten in den Hof hinab, statt nach anrückenden Feinden Ausschau zu halten.
»Warum hier draußen?«, fragte Ratibor unwirsch. »Hoffen sie auf ein Spektakel?«
»Natürlich«, gab Tugomir mit einem flüchtigen Lächeln zurück. »Aber ich brauche Licht. Drinnen ist es zu dämmrig. Jetzt sag, was wir besprochen haben.«
Ratibor wandte sich an die beiden Obodritenkrieger, die einen Schritt hinter ihm standen, so reglos wie die Götterstandbilder im Tempel. »Was Fürst Tugomir tun wird, geschieht mit meinem Einverständnis. Er hat mir gesagt, dass ich erblinden oder sterben könnte. Wenn eines von beidem passiert, dann nicht mit seiner Absicht, und ihr dürft es nicht als kriegerischen Akt betrachten. Klar?«
Die Standbilder nickten.
»Dann macht das Maul auf und sagt es«, schnauzte Ratibor.
»Wir haben dich verstanden, Fürst. Und wir werden gehorchen, auch wenn du tot bist«, brummte der Linke unwillig.
»Gut.« Ratibor sah fragend zu Tugomir.
»Setz dich«, wies der ihn an. »Es wird Zeit, dass wir anfangen.«
Der Fürst der Obodriten ließ sich auf dem Schemel nieder, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. Die Schar der Zuschauer war auf mehr als zwei Dutzend angewachsen, und die Neuankömmlinge ließen sich erzählen, was bisher passiert war.
»Semela«, sagte Tugomir.
Der trat vor und verneigte sich höflich vor dem Fürsten der Obodriten. »Wenn du gestattest, werde ich deinen Kopf festhalten.«
»Kommt nicht infrage«, knurrte Ratibor.
Tugomir seufzte. »Glaub mir, es geht nicht anders.«
»Ich sagte, es kommt nicht infrage!«
Tugomir setzte sich ihm gegenüber auf den zweiten Schemel und sah ihn an. »Kein Auge – ganz gleich, wie furchtlos der Mann, dem es gehört – hat es gern, wenn hineingestochen wird. Der Kopf will zurückzucken, es geschieht ganz von selbst. Aber das darf er nicht.«
Ratibor hatte ihm aufmerksam gelauscht und nickte einsichtig. »Verstehe. Ich darf nicht zucken. Also werde ich nicht zucken.«
»Ratibor …«
»Niemand wird meinen
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