Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
war seltsam. Der Markgraf musste Mitte dreißig sein. Andere Männer von Stand setzten in diesem Alter ein wenig Fett an. Das war nur normal – man bewies der Welt damit, dass man genug Land und Silber besaß, um sich jeden Tag satt zu essen. Ob er krank war?
Die Stille in der Halle fing an, Henning auf die Nerven zu gehen. Als der Met endlich kam, hob er dankbar seinen Becher. »Auf die Treue alter Freunde.«
Gero brummte, es klang beinah amüsiert, aber er stieß mit ihm an, ohne den Trinkspruch zu kommentieren.
»Deine Frau ist wohl, hoffe ich?«, fragte der Prinz in dem Bemühen, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
»Tot«, klärte Gero ihn auf. »Sie hat gekränkelt, seit wir hergekommen sind, und der letzte Winter hat ihr den Rest gegeben.« Sonderlich betrübt klang er nicht.
Trotzdem sagte Henning: »Das tut mir leid, Gero. Möge sie in Frieden ruhen.«
»Amen.« Der Markgraf nahm einen ordentlichen Zug und musterte seinen Besucher dann. »Ich wähnte dich in Lothringen, mein Prinz.«
Henning nickte, drehte den Becher zwischen den Händen und blickte versonnen hinein. Natürlich hatte er gewusst, dass dieser peinliche Moment der Wahrheit kommen würde, und er hatte sich lange überlegt, was er sagen sollte. Lange und gründlich . Manchmal hatte Henning das Gefühl, als hätten die Monate der Entbehrungen und Erniedrigungen ihn verändert. Und nicht in der Weise, wie die Welt vielleicht glauben mochte. Sie hatten ihn nicht geschwächt, im Gegenteil. Er fühlte sich gestählt. Mutiger, weil es nach dem schier endlosen Jammertal der letzten Monate nicht mehr viel gab, das ihm Angst machen konnte. Und geduldiger, weil er nichts mehr zu verlieren hatte.
Mit einem langmütigen Lächeln sah er auf. »Die Lothringer haben mich davongejagt.« Er hob die Schultern. »Das konnte ja nicht gut gehen: Erst verwüstet Otto mit seinen Panzerreitern ihr Land, verbreitet Angst und Schrecken, und dann setzt er ausgerechnet seinen Bruder als Herzog ein, ohne ihn mit der nötigen Macht auszustatten, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ich bin gescheitert, Gero, so wie der König es vorhergesagt hat. So wie er es wollte .«
»Du kannst ihm nicht ernsthaft einen Vorwurf daraus machen, dass er schlecht auf dich zu sprechen ist, nach allem, was du dir geleistet hast«, gab Gero unwirsch zurück.
»Nein, ich weiß.«
Gero hatte die unschöne Eigenschaft, auf einem Punkt herumzureiten, selbst wenn man ihm bereits zugestimmt hatte: »Du solltest froh sein, dass du mit heiler Haut aus der verdammten Sache herausgekommen bist, Henning. Mir ist einfach unbegreiflich, wie du so dumm sein konntest!«
Henning bohrte die verbliebenen Fingernägel in die Handfläche der Rechten, um sein mildes Lächeln intakt zu halten. »Aber ich zahle für meine Sünden, Gero, glaub mir.«
»So wie wir alle«, gab der Markgraf zurück. Glitt sein Blick dabei über die leeren Bänke seiner grusligen Halle? Henning war nicht sicher. War es möglich, dass es Gero selbst graute bei der Erinnerung an sein blutiges Gastmahl?
»Und wie geht es hier voran in deiner schönen Mark?«, fragte der Prinz und biss sich auf die Zunge, weil es zu fröhlich geklungen hatte, zu dick aufgetragen.
Gero schnaubte. »So wie es von Anfang an gegangen ist: Immer einen Schritt vor und zwei zurück.«
»Es kann nicht einfacher geworden sein, seit du das Havelland an die Kirche verloren hast«, bemerkte Henning – so beiläufig wie möglich.
Aber Gero winkte ab, während er den Becher wieder an die Lippen führte. Er nahm einen Schluck, wischte sich dann mit dem Handrücken über die Lippen und entgegnete: »Der König hatte schon ganz recht damit. Dieses Land ist so gottlos und barbarisch, du machst dir ja keine Vorstellung, mein Prinz. Ich habe keinerlei Hoffnung, dass diese Wilden hier sich je bekehren lassen. Aber sie müssen unterworfen werden, und vielleicht wird uns das gelingen, wenn Gott mit uns ist. Welchen besseren Weg könnte es geben, uns seiner Hilfe zu versichern, als das Land seiner Kirche zu geben?«
Das war ganz und gar nicht das, was Henning zu hören gehofft hatte, aber er ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.
Der Sklave brachte eine Platte mit kaltem Biberbraten und Brot.
»Was hat so lange gedauert, du gottverfluchter Lump«, knurrte Gero und verpasste ihm einen Tritt, als der junge Mann sich schon wieder halb abgewandt hatte. Der Sklave verlor das Gleichgewicht und landete mit dem Gesicht in den Binsen am Boden. Dort blieb er
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