Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
Kopf festhalten, Fürst Tugomir. Das ist meine Bedingung. Also jetzt tu es endlich, oder ich reite nach Hause.«
    »Also schön.« Tugomir sah noch einmal zu Semela. »Ist der Verband bereit?«
    »Ja, Fürst.«
    »Stell beide Füße fest auf den Boden«, wies Tugomir seinen Patienten an. »Leg die Hände auf die Knie. Und halt still .«
    Ratibor gehorchte wortlos.
    Tugomir hatte die Nadel in seinen linken Ärmel gesteckt. Sie gehörte zu seinen kostbarsten Werkzeugen: eine feine, aber nicht zu dünne Stahlnadel mit einem Griff aus Elfenbein, die der Schmied der königlichen Pfalz in Magdeburg mit der allergrößten Sorgfalt gearbeitet hatte, weil sein eigener Vater der Erste war, an dem sie erprobt worden war. Jetzt zog Tugomir das Instrument mit der Rechten aus dem Stoff seines Ärmels, während er Ratibor die Linke auf die Stirn legte.
    »Du hast gezuckt.« Er ließ die Hand wieder sinken.
    »Entschuldige«, gab Ratibor zurück. »Ich schwöre, es war das letzte Mal. Du musst mir sagen, was du tust. Mein Körper ist dazu erzogen, sich von keinem Mann ungestraft anfassen zu lassen.«
    »Dann sollten wir vielleicht eine meiner Sklavinnen den Stich vornehmen lassen …«
    »Halt die Klappe und fang endlich an.« Er schwitzte nicht einmal. Falls er Angst hatte, verstand er es, sie nicht zu zeigen.
    »Also schön. Ich kann dir nicht während des Eingriffs erklären, was ich tue, denn ich muss mich auf meine Hände konzentrieren. Aber ich werde zählen. Von eins bis sieben. Während der ganzen Zeit werden meine Hände dich berühren, und du darfst dich nicht bewegen. Wenn wir bei sieben ankommen, ist es vorbei.«
    »In Ordnung.«
    »Eins.«
    Wieder legte Tugomir ihm die Linke auf die Stirn. Es war ein fester Griff, mit dem er sich abstützte und seinen eigenen Körper stillhielt. Mit Daumen und Zeigefinger zog er Ober- und Unterlid auseinander und fixierte den Augapfel.
    »Zwei.«
    Er nahm den Elfenbeingriff zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger der Rechten, so wie seine Schwester ihre Pinsel hielt, und zog die Stahlnadel durch den Mund, damit sie besser glitt. Ohne das geringste Zögern führte er die Spitze zum Auge und stach sie gleich neben der Iris seitlich in das Weiße des Augapfels. Ratibor hielt Wort. Er blieb vollkommen reglos, nicht einmal seine Augenlider versuchten zu zucken.
    »Drei.«
    Langsam schob Tugomir die Nadelspitze weiter. Ratibors Wangenmuskeln spannten sich an, aber das war alles. Als die Spitze hinter der Pupille sichtbar wurde, hielt Tugomir an.
    »Vier.«
    Jetzt kam der schwierigste Teil: Mit der Nadelspitze musste Tugomir den Schleier erfassen, etwa so wie man mit der Dolchspitze ein Stück Braten von einer Fleischplatte aufspießt, nur dass er hier mit den winzigsten der winzigen Bewegungen seiner Finger vorgehen musste. Aber es glückte, und als er den Schleier eingefangen hatte, drückte er ihn abwärts. Die Iris wurde wieder blau, und dieses Mal versuchten die Lider in der Tat, sich gegen den ungewohnten Lichteinfall zu schließen, aber Tugomirs Finger ließen es nicht zu.
    »Fünf.«
    Er hielt den Schleier mit der Nadel am Boden der Augenhöhle fest, damit er nicht wieder aufstieg. Niemand hatte ihm zuverlässig sagen können, wie lange er ihn dort fixieren musste. Tugomir ging kein Risiko ein und verharrte so lange, wie es dauerte, drei Paternoster zu beten, ehe er die Nadel genauso langsam aus dem Auge zog, wie er sie eingeführt hatte.
    »Sechs.«
    Er streckte die Hand mit der Nadel seitlich aus, und augenblicklich nahm Semela ihm das feine Instrument aus den Fingern und ersetzte es mit einem weingetränkten Stoffstreifen. Tugomir ließ Ratibors Lider los und legte ihm die Kompresse behutsam über beide Augen, hielt sie mit einem Daumen fest und fixierte sie mit einer zweiten, breiteren Stoffbinde, die er hinter dem Kopf des Patienten zusammenknotete. Dann ließ er ihn los.
    »Sieben.«
    Langsam glitten Ratibors Hände von den Knien, und er räusperte sich. Ansonsten hielt er weiter still, als wage er noch nicht, sich zu bewegen. »Ich konnte sehen«, murmelte er. »Bis du die Binde aufgelegt hast, konnte ich sehen. Mit beiden Augen, meine ich.«
    »Ich weiß. Aber ob der Schleier wieder aufsteigt oder nicht, wissen wir erst morgen.«
    Ratibor deutete ein Nicken an. »Noch nicht jubeln, ich weiß.«
    So war es vorerst nur die Zuschauerschar, die in Jubel ausbrach und ausgelassen applaudierte. Ob es die Geschicklichkeit des Heilers oder die Tapferkeit des Patienten war, der sie

Weitere Kostenlose Bücher