Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Sturm der Entrüstung, der unweigerlich über ihn hereinbrechen würde, und sagte: »Ich ernenne Henning zum Herzog von Lothringen.«
»Wie beliebt?«, fragte Brun fassungslos.
Auch Wilhelm und Editha starrten den König ungläubig an.
»Es löst auf einen Schlag eine ganze Reihe von Problemen«, erklärte Otto. »Ludwig von Westfranken will die Kontrolle über Lothringen und glaubt, er hat einen Anspruch darauf, weil Giselberts Sohn neuerdings sein Stiefsohn ist. Dieses Argument wird hinfällig, wenn ich die Herzogswürde stattdessen an meinen Bruder verleihe. Dich kann ich hier nicht entbehren«, sagte er zu Brun und fuhr an Wilhelm gewandt fort: »Du bist zu jung, Liudolf erst recht. Bleibt nur Henning. Und auf diese Weise bekommt Henning das, worauf er ein Anrecht zu haben glaubt. Seit Jahren liegt er mir damit in den Ohren, dass er Herzog von Bayern werden will. Jetzt bekommt er stattdessen Lothringen, und womöglich wird ihn das mit dem Umstand versöhnen, dass er die Krone nicht haben kann. Wir werden sehen.«
»Aber … aber Ihr belohnt ihn für seinen Verrat und seine Rebellion«, protestierte Brun. »Und mit Lothringen im Rücken wird er genug Macht, Geld und Soldaten haben, um es wieder zu versuchen.«
Doch der König schüttelte den Kopf. »Das wird er nicht. Denn er bekommt nur ein, zwei Burgen in Lothringen, aber keine Grafschaften.«
»Wie soll er herrschen ohne Grafenrechte?«, fragte Editha verwirrt.
Otto hob mit einem kleinen Lächeln die Schultern. »Mit Weisheit, Geduld und prinzlicher Autorität.«
»Drei schöne Tugenden«, räumte Brun ein. »Nur besitzt Henning nicht eine einzige davon.«
»Dann muss er sie erlernen«, gab der König ungerührt zurück. »Das wird ihn eine Weile beschäftigen, denke ich.«
Sein jüngster Bruder schüttelte den Kopf. »Das wird er nicht, mein König. Er wird scheitern.«
Der König hob seinen Becher und trank Brun zu. »Auch das wird ihn eine Weile beschäftigen.«
Brandenburg, April 940
»Schau ihn dir an, Tugomir.« Alveradis’ Augen strahlten vor Stolz. »Er sieht aus wie du, nur ganz winzig. Ein Zwerg .« Sie lachte. Es war ein übermütiger, ansteckender Laut.
Tugomir, der neben ihr und seinem Sohn auf dem Bett saß, ergriff ihre Linke und küsste die Fingerspitzen. »Ein Zwerg. Palcik auf slawisch. Wollen wir ihn so nennen, bis er alt genug ist, seinen richtigen Namen zu bekommen?«
Sie nickte. »Palcik. Das gefällt mir.«
Er reichte ihr den Becher frischer Milch, den er mitgebracht hatte. »Hier. Trink sie, solange sie warm ist. Das gibt dir neue Kräfte und reichlich Milch.«
Sie setzte sich ein wenig auf und nahm den Becher in die Rechte, während die Linke auf dem Kopf des Kindes lag. Sie trank folgsam, sagte aber zwischendurch: »Ich dachte, du verstehst nichts von Schwangerschaft, Geburt und so weiter.«
Tugomir nickte. All das war Sache der Hebammen, und kein männlicher Heiler wäre auf die Idee gekommen, sich in deren Angelegenheiten einzumischen. Eine Schwangerschaft war schließlich kein Gebrechen. Trotzdem hatte Tugomir seine Unwissenheit während der vergangenen Monate bedauert: Vor seinen Augen ereignete sich das größte Wunder der Schöpfung, und er hatte keine Ahnung, wie es vonstattenging. Doch als die Wehen einsetzten, hatte er die Burg verlassen und war zur Jagd geritten, wie es die Sitte vorschrieb. Im Morgengrauen war er zurückgekehrt und hatte der Mutter seines Sohnes zwei Pelze gebracht: einen Luchs für sie, ein Wolfsfell für die Wiege. Denn so wie es die Pflicht der Frau war, die Kinder zu gebären, oblag es dem Mann, die Raubtiere zu jagen, die Vieh und Feldfrüchte und somit das Überleben der Kinder bedrohten. Und bei den Hevellern war es Brauch, dass Vater und Mutter diesen Pflichten zur selben Zeit nachgingen.
Tugomir hob den Säugling auf – behutsam, aber ohne Scheu –, bestaunte ihn eine Weile, und weil nur seine Frau es sah, küsste er den dunklen Flaum, ehe er ihr den kleinen Palcik zurückgab. Es gehörte sich nicht, dass ein Vater seinem Sohn Zärtlichkeit zeigte, weil es den Jungen zu verweichlichen drohte, aber Tugomir nahm an, bei einem so winzigen Sohn konnte es noch keinen wirklichen Schaden anrichten.
»Dragomira sagt, es ist alles gut gegangen?«
Alveradis nickte. »Alles so, wie es sein sollte, hat die Hebamme mir versichert, und eher leicht für das erste Mal.« Eine Spur herausfordernd sah sie ihn an. »Nur weil ich das Wechselfieber habe, heißt das noch lange
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