Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Herzogtum den Reichsgütern zuschlug, verlort ihr euer Land in Bayern. Mit einem Mal wart ihr wieder bettelarm, und Euer Vater grämte sich zu Tode.« Er sah wieder auf. »Langweile ich Euch?«
Erich betrachtete ihn, als rechne er mit einem heimtückischen Schlag. »Mein Vater war steinalt.«
Henning hob die verstümmelte Rechte zu einer zustimmenden Geste. »Ihr fasstet den Entschluss, mit Gero nach Osten zu gehen und hier Euer Glück zu machen. Gero belehnte Euch mit einem Burgward im Havelland, und kaum hattet Ihr Euch dort eingerichtet, kam der König und schenkte Euer Lehen der Kirche. Und nun steht ihr wieder mit leeren Händen da.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Gero mag Anlass haben, sich von Otto gedemütigt zu fühlen. Ich habe weiß Gott Anlass, mich von Otto gedemütigt zu fühlen. Aber Euch muss es vorkommen, als habe er es sich zum Zeitvertreib gemacht, Euch in den Staub zu treten. Wie fühlt sich das an, he?«
Erich zog die buschigen Brauen zusammen. »Und Ihr wollt das natürlich alles wiedergutmachen, nicht wahr?«, höhnte er. »Für wie närrisch haltet Ihr mich, Prinz? Ich soll Euch glauben, Euch sei an Recht gelegen? An Gerechtigkeit? Wo Ihr nie etwas anderes zustande bringt als Hader und Blutvergießen?« Er zeigte mit dem Finger auf die aufgescheuchten und zerstückelten Ameisen im Gras.
Henning steckte den Dolch weg. »Und was genau ist es, das König Otto zustande bringt?«, konterte er.
Erich begann, rastlos im Ufergras auf und ab zu laufen. »Es ist wahr, der König hat mir und den Meinen wenig Glück gebracht. Aber nicht aus Boshaftigkeit. Er hat uns einfach … übersehen. Der Bruder Eurer Frau war selbst schuld daran, was in Bayern passiert ist, der König hat nur getan, was er für sein Reich tun musste. Er ist Gottes Auserwählter …«
»Er ist ein Thronräuber«, fiel Henning ihm scharf ins Wort. » Ich bin Gottes Auserwählter, im Purpur geboren.«
»Seid Ihr das wirklich?«, fragte Erich verblüfft.
Henning nickte, den Blick gesenkt, als sei es ihm peinlich, mit seinem Geburtsrecht aufzuschneiden. Das Schweigen hielt einen Moment an, untermalt vom leisen Rauschen des Flusses und dem gelegentlichen Ruf eines Kuckucks in der Nähe.
»Ihr habt vollkommen recht, Erich«, sagte der Prinz schließlich. »Graf Gero würde sich niemals gegen Otto erheben. Aber er wird sich hier nicht mehr lange halten können. Ich habe doch vorhin mit eigenen Augen gesehen, wie seine Vasallen um das wenige zanken und feilschen, was der König ihm von seiner Mark gelassen hat.«
Wiederum nahm Erich den König in Schutz: »Es hat im Grunde gar nichts mit der Bistumsgründung zu tun. Dieses Land ist verflucht, sage ich Euch. Es ist zu wild und unbezähmbar, um es zu bewirtschaften, und die Slawen sind genauso: wild und unbezähmbar. Man kann sie nicht zu Hörigen machen und auf die Felder schicken. Sie lassen sich lieber abschlachten, als sich zu unterwerfen und Tribut zu zahlen. Wir bräuchten ein großes, stehendes Heer dafür.«
»Das Otto Euch aber nicht gibt, obwohl er genau weiß, wie die Dinge hier stehen. Er hat Geros Lage völlig aussichtslos gemacht und Eure genauso. Aber ich kann Euch nur helfen, wenn Ihr mir helft.«
»Schöne Worte«, entgegnete Erich abschätzig. »Aber worauf es hinausläuft, ist doch dies: Ihr wollt einen Verräter aus mir machen. Einen Verräter an meinem König.«
Mit einem Lächeln hob Henning die Schultern. »Nur Verlierer sind Verräter.«
Brandenburg, August 940
»Die Sachsen haben schon irgendwie recht, mit Treibern und Meute zu jagen«, murmelte Semela verdrossen vor sich hin. »Es geht viel schneller und bringt mehr Beute.«
»Darüber hinaus ist es feige und respektlos«, gab Tugomir zurück. »Und wenn du jetzt noch einmal den Mund aufmachst, kannst du die nächsten zwei Monate Hafergrütze essen. Damit du siehst, wie es ist, wenn einen das Jagdglück verlässt.«
Semela verdrehte die Augen, nickte aber reumütig.
Slawomir beachtete ihren Wortwechsel nicht. Er hockte auf der Erde, die Zügel seines Pferdes lose in der Rechten, und untersuchte den Waldboden auf Spuren. Dann saß er wieder auf und wies nach Südosten, wohin das Land sacht abfiel.
Sein Onkel war ein Jagdgefährte nach Tugomirs Geschmack – ganz im Gegensatz zu Semela. Slawomir war geduldig und listig, ein hervorragender Fährtenleser und ein guter Schütze.
Es dauerte nicht lange, bis sie den Hirsch fanden, der vermutlich in der Morgendämmerung auf dem Weg zu einer
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