Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
erkannte Henning, gab es eigentlich keinen Grund, ihm mit Misstrauen zu begegnen.
»Wie machen sie sich?«, fragte Gero und wies mit dem Daumen auf seine Söhne, die ob seiner Frage wieder eilig die Köpfe senkten und nervös von einem Fuß auf den anderen traten. Man konnte die Bengel beinah bedauern. Henning erinnerte sich nur zu gut daran, wie er sich vor seinem Vater gefürchtet hatte, aber nicht so .
»Prächtig«, versicherte Erich grinsend und legte jedem der Jungen wieder eine Hand auf die Schulter. »Siegfried wird schon richtig gefährlich mit dem Schwert, und Gero ist so ein treffsicherer Bogenschütze, dass man argwöhnen könnte, er müsse einen Ungarn unter seinen Ahnen haben.«
»He!«, protestierte der kleine Kerl und fuhr sich mit dem Ärmel über die blutige Nase.
Die Miene des älteren Gero hellte sich auf. Er hieß seine Söhne, sich zu ihm zu setzen und von ihren Waffenübungen zu berichten. Während Henning ihnen zuhörte, fragte er sich, ob der Markgraf sein verlockendes Angebot schlichtweg vergessen hatte oder ob er eine Absicht damit verfolgte, ihn hinzuhalten.
Geros Hof war größer, als er angenommen hatte, stellte Henning am nächsten Morgen fest. Edelleute beiderlei Geschlechts versammelten sich nach der Frühmesse ebenso an der Tafel wie Geistliche und dienstfreie Wachen. Es wurde laut und lebhaft, und Henning war dankbar, dass die vielen Menschen mit ihrem Geplapper und Gelächter die Geister der ermordeten slawischen Fürsten aus der Halle jagten.
Nach dem üppigen Frühstück sprach der Markgraf Recht in seiner Halle, und Henning langweilte sich bald. Die meisten Fälle behandelten Streitigkeiten unter Geros Adligen um einen Acker, Fischteich oder ein Stück Wald. Der Ton der Kontrahenten war oft scharf, aber ihre Schwerter blieben in den Scheiden, und Gero legte beim Schlichten ihrer Differenzen eine Geduld an den Tag, die Henning überhaupt nicht an ihm kannte.
Nach einer Stunde des ewig gleichen Gezänks schlich der Prinz sich aus der Halle und ließ sich sein Pferd bringen. Es war ein herrlicher Junitag, noch nicht zu heiß, aber man spürte die Kraft der Sonne, und die laue Luft war von Sommerdüften erfüllt. Seit er im vergangenen Winter beinah an Kälte und Hunger zugrunde gegangen wäre, wusste Henning den Sommer höher zu schätzen als vorher.
Er ritt aus der Burg und an der Elbe entlang, bis er zu einer herrlichen Erle kam, die nahe am Ufer wuchs. Dort saß er ab, setzte sich ins Gras und wartete.
Seine Geduld wurde auf keine sehr harte Probe gestellt. Keine Viertelstunde war vergangen, und Henning hatte gerade erst begonnen, mit dem Dolch in einem Ameisenbau unter der Erle Panik und Verwüstung anzurichten, als ein Schatten auf ihn fiel.
»Graf Erich von Calbe«, sagte der Prinz, ohne von seinem Zerstörungswerk aufzublicken. »Welch sonderbarer Zufall, dass wir uns hier begegnen.«
Erich saß ab, band sein Pferd neben Hennings an einen Haselstrauch und trat zu ihm. »Es ist kein Zufall«, stellte er klar.
Henning schaute lächelnd zu ihm hoch.
Erich hatte die Arme vor der breiten Brust verschränkt: ein Krieger mit großen Händen und Keulenarmen, braunem, krausem Kopf- und Barthaar und blauen Augen voller Misstrauen. »Seid mir nicht gram, Prinz Henning, aber Euer unverhoffter Besuch in Meißen stimmt mich ein wenig … unbehaglich.«
»Wirklich?«
»Wirklich. Wenn es nicht zu vermessen ist zu fragen: Was führt Euch her? Was ist es, das Ihr von Markgraf Gero wollt?«
»Und wieso sollte Euch das etwas angehen?«
»Ihr tätet Euch selbst einen Gefallen, wenn Ihr mir antwortet. Ganz gleich, wie Euer Bruder, der König, ihn gedemütigt haben mag, Graf Gero wird sich niemals von Euch zu einer Intrige gegen den König verleiten lassen. Das … liegt einfach nicht innerhalb seines Vorstellungsvermögens, versteht Ihr. Er kann einfach nicht.«
»Ihr hingegen schon?«
Erichs Augen verengten sich. »Wie in aller Welt kommt Ihr darauf?«
Henning wandte den Blick ab, als hätte er jedes Interesse an ihm verloren, wählte eine aus der wimmelnden Schar der großen roten Waldameisen und trennte ihr mit der Dolchspitze den Kopf ab. »Weil ich Eure Geschichte kenne. Euer Vater hatte nur ein jämmerliches Landgut im Nordthüringgau, aber Eure Mutter brachte viel Land in die Ehe. Sie stammte aus Bayern, war, nebenbei bemerkt, der Herzogin, also der Mutter meiner Frau, in enger Freundschaft verbunden. Doch als mein königlicher Bruder in Bayern einfiel und das halbe
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