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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Wasserstelle war. Dieser Wald wimmelte förmlich von Hirschen. Tugomir stellte zufrieden fest, dass es richtig gewesen war, eine Schonzeit vom späten Winter bis zur Jahresmitte zu verhängen – eine sächsische Sitte, die bei den Hevellern auf wenig Gegenliebe gestoßen war. Wenn er Glück hatte, würden sie einsehen, dass der Erfolg ihm recht gab. Auch wenn sie das natürlich niemals offen eingestehen würden …
    Slawomir und Tugomir saßen ab und ließen Semela bei den Pferden. Sie folgten dem Hirsch zu Fuß, den Wind im Gesicht und so lautlos wie Waldelfen. Ihre ahnungslose Beute fand im lichteren Gehölz zwischen jungen Buchen eine Quelle, wie sie hier allenthalben aus der Erde sprudelten, und begann zu saufen.
    Die beiden Jäger hielten an. Für einen Moment führten sie die tätowierten Hände zusammen und neigten die Köpfe, um dem Hirsch ihren Respekt zu erweisen und ihm zu danken, dass er sein Leben gab, um ihr Volk mit seinem Fleisch stark zu machen. Dann nickte Tugomir Slawomir einladend zu. Als Fürst gebührte ihm das erste Jagdrecht, aber er hatte heute früh schon einen Schmalspießer erlegt, und er wusste, dass sein Onkel darauf brannte, sein Jagdgeschick zu beweisen.
    Slawomir hob die kurze Wurflanze über die rechte Schulter und richtete den Blick auf den Waldboden, um nur ja auf keinen Zweig oder auf trockenes Laub zu treten, ehe er zwei langsame Schritte vortrat und dann reglos verharrte. Genau in dem Moment, da der Hirsch sich sattgesoffen hatte und den Kopf hob, schleuderte der Jäger seine Waffe und traf ihn in die Brust. Die Vorderläufe brachen ein, und langsam ging der Hirsch zu Boden, selbst sterbend noch majestätisch.
    »Großartig, Onkel«, befand Tugomir mit echter Bewunderung. »Ich fange an zu befürchten, dass du ein besseres Auge hast als ich.«
    »Gräm dich nicht, Fürst«, gab Slawomir grinsend zurück. »Ich bin ein Greis von fünfundvierzig Sommern, und meine Augen werden von Jahr zu Jahr schwächer. Falls es so ist, wie du befürchtest, wird es also nicht mehr lange so bleiben.«
    »Ah«, machte Tugomir. »Die Zeit arbeitet also ausnahmsweise einmal für mich, um meine Stellung zu wahren.«
    Slawomir beugte sich über den Kadaver, stellte einen Fuß auf die Schulter und zog seine Lanze mit einem kräftigen Ruck heraus. »Ich glaube, um deine Stellung brauchst du dich nicht zu sorgen.« Er richtete sich wieder auf und sah seinen Neffen an. »Du machst deine Sache gut, Tugomir. Ich weiß nicht, ob ich dir das schon mal gesagt habe.«
    Tugomir schüttelte den Kopf.
    »Aber es ist so«, versicherte der Jarovit-Priester mit Nachdruck. »Die Heveller haben Respekt vor dir, obwohl du so lange fort warst und einen Glauben angenommen hast, dem sie misstrauen. Das hätte ich offen gestanden nie für möglich gehalten. Aber du hast sie … mit deinen Taten überzeugt, könnte man wohl sagen. Du hast uns die sächsischen Unterdrücker vom Hals geschafft. Die ständige Furcht vor ihren Heimsuchungen hat die Menschen hier niedergedrückt, und du hast ihnen neuen Mut gegeben. Obendrein hast du sie alle durch den Winter gebracht. Und du bist ein kluger Richter …«
    »Hör auf!« Tugomir hob abwehrend die Linke. »Du machst mich verlegen.«
    »Hm«, brummte sein Onkel. »Ich bin nicht der Einzige, der so denkt, weißt du. Godemir sagt das Gleiche, und auf ihn hören die Krieger. Du bist nicht nur ein besserer Fürst als Dragomir – was ja nun kein großes Kunststück ist –, sondern du machst es auch besser als dein Vater. Am Tag deiner Ankunft hätte ich nicht geglaubt, dass ich das je sagen würde, denn ich habe meinen Bruder … verehrt. Aber es ist die Wahrheit.«
    Tugomir zückte sein Messer und machte sich an die Arbeit. »Erzähl das Tuglo«, schlug er vor, während er dem Hirsch den Hals von der Kehle bis zur Brust öffnete und Luft- und Speiseröhre herausschnitt.
    Slawomir seufzte vernehmlich, steckte die Finger zwischen die Zähne und pfiff, damit Semela wusste, dass die Jagd beendet war und er die Pferde herführen sollte.
    Als der Daleminzer bei ihnen eintraf, war es hell geworden, und der Hirsch lag ausgeblutet und ausgenommen im Farn. Häuten und zerlegen wollten sie ihn auf der Burg, denn dort hatten sie besseres Werkzeug, und außerdem war es einfacher, die Beute in einem Stück zu transportieren.
    »Fass mit an, Semela«, forderte Tugomir ihn auf, und mit vereinten Kräften hoben sie den Hirsch auf und hievten ihn neben dem Schmalspießer auf den Rücken des

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