Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
leuchtend rot bemalt. »Es ist immer eine Freude herzukommen«, bekannte er. Und es stimmte. Das Kloster zu Corvey war nicht nur wohlhabend und einflussreich wie kein zweites in Sachsen, sondern hatte dem König und seiner Familie immer besonders nahe gestanden. Otto schätzte Abt Volkmars politischen Rat, doch vor allem kam er her, wenn er einen Ort des Friedens und der Frömmigkeit suchte, eine Zuflucht, um dem Irrsinn der Welt und der Last, in ihr zu herrschen, für eine kleine Weile zu entrinnen.
»Die Königin ist bereits eingetroffen?«, fragte er.
Abt Volkmar wies nach rechts, wo eine Wendeltreppe im Turm aufwärtsführte. »Sie wartet oben.«
Otto nickte. »Ich bin froh, dass ich es noch rechtzeitig zur Messe geschafft habe. Die Straßen sind fürchterlich …«
»Ja, es war ein nasser Sommer«, stimmte Volkmar zu. »Aber es hat der Ernte nicht geschadet, sagt unser Vogt, Gott sei gepriesen. Wir müssen keinen weiteren Hungerwinter fürchten.«
Das war allerdings ein guter Grund, um Gott zu preisen. Der letzte Winter war so furchtbar gewesen, dass der Hunger selbst in Magdeburg Einzug gehalten hatte.
»Ihr habt den Erzbischof von Mainz aus der Festungshaft entlassen, hörten wir?«, fragte der Abt.
Otto nickte. »Ich bin zuversichtlich, dass er uns keine Scherereien mehr machen wird. Franken ist gesichert, genau wie Lothringen. Das Reich kann dauerhaft nicht auf seinen wichtigsten Metropoliten verzichten, also habe ich Friedrich laufen lassen, damit er seine Arbeit tut.«
»Das wird er.« Ein amüsiertes Funkeln verlieh dem uralten, runzligen Gesicht des Abtes etwas Jungenhaftes. »Friedrich ist kein solcher Narr, wie er uns in der Vergangenheit oft glauben machte. Aber er ist … ein kleiner Feigling, fürchte ich. Ich erinnere mich genau, wie es war, als er hier die Schule besuchte: Er hatte solche Furcht vor manchen seiner Lehrer, dass sie ihn ganz kopflos machte. Vermutlich ist es ihm mit Eberhard von Franken ganz ähnlich ergangen. Aber er wird wissen, dass dies hier seine letzte Chance ist, sich zu bewähren, und er ist ehrgeizig genug, um sie nicht zu verspielen.«
»Das würde ich ihm auch raten«, brummte Otto.
Abt Volkmar schlug das Kreuzzeichen über ihm. »Lasst uns die Messe feiern, mein König, und später reden wir weiter. Ich habe Erstaunliches aus Lothringen gehört. Und aus Burgund.«
»Ich bin nicht überrascht, Vater«, gab Otto lächelnd zurück. »Niemand erfährt Neuigkeiten schneller als Ihr, scheint mir.« Er drückte Konrad von Minden seinen Helm in die Hand. »Vergewissere dich, dass die Pferde ordentlich versorgt werden.«
»Ja, mein König.« Konrad verneigte sich, wandte sich ab und verließ die dämmrige Halle.
Otto stieg die Treppe hinauf zur Königsloge. Sie war womöglich ein noch prächtigerer Saal als die Empfangshalle unten, die Wände mit kunstvollen Malereien verziert, die Szenen aus dem Leben des tapferen, listenreichen und standhaften Odysseus zeigten. Die Ostseite war mit einer Balustrade versehen und zur Kirche hin offen, sodass der König und sein Gefolge von hier die Gottesdienste verfolgen konnten.
Editha saß auf ihrem Platz neben dem leeren Thronsessel. Als sie Ottos Schritte hörte, wandte sie den Kopf und lächelte. »Mein König.« Sie erhob sich und kam mit ausgestreckten Händen auf ihn zu. »Gott hat meine Gebete erhört und dich wieder einmal unversehrt zu mir zurückgeführt.«
Otto nahm ihre Hände, und weil sie sich in einer Kirche befanden, beschränkte er sich darauf, sie sittsam auf die Stirn zu küssen. »Unversehrt und mit guten Neuigkeiten«, raunte er ihr zu, aber ehe er ihr Näheres berichten konnte, fand er sich von seinen Kindern umringt.
Liudolf und Liudgard begrüßten ihn stürmisch wie üblich; Wilhelm war wieder einmal der Einzige, der sich dem geweihten Ort angemessen benahm. Aber der König verzichtete darauf, die beiden Jüngeren zu ermahnen, lauschte ihrem aufgeregten Geplapper mit halbem Ohr und schaute sich derweil um. Brun stand mit verschränkten Armen an eine der dicken Säulen gelehnt und zwinkerte ihm zu, als ihre Blicke sich trafen. Sonst war niemand zugegen. Er war allein mit seiner Familie, erkannte Otto und fragte sich, wie lange dieser selige Zustand wohl anhalten würde.
Es war das Fest der Himmelfahrt Mariens – einer der höchsten Feiertage des Kirchenjahres. Das Hochamt fiel dementsprechend festlich aus. Und lang. Der König hatte normalerweise nichts gegen lange Gottesdienste, schon gar nicht in
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