Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Tropfen slawisches Blut, den Graf Gero zu Unrecht vergießt, wirft einen Schatten auf die Zukunft von Slawen und Sachsen, die mein Onkel und Euer Cousin Widukind zu schaffen versuchen.«
Brun legte ihm mit einem stolzen Lächeln die Hand auf die Schulter. »Ich glaube, wir werden dich ziemlich vermissen, wenn du nach Utrecht zurückkehrst.«
Wilhelm sollte von Corvey aus die Reise zurück an die Domschule antreten. Brun hatte recht, ging Otto auf: Auch er hatte sich an die Anwesenheit des Jungen gewöhnt und würde ihn vermissen.
»Je schneller du erwachsen wirst, desto besser, mein Junge«, sagte er zu seinem Ältesten. »Wir haben erreicht, dass die weltliche Macht auf Männern unserer Familie ruht oder solchen, die uns familiär verbunden sind. Doch meine Meinung hat sich nicht geändert: Ein geeintes Reich braucht eine starke Zentralgewalt. Und dafür brauche ich die Kirche. Das heißt, ich brauche dich .«
»Auf mich könnt Ihr rechnen, mein König«, gab Wilhelm ernst zurück.
»Gut.« Otto angelte noch eine Schinkenscheibe von der Platte. »Und was wir mit der Ostmark machen, entscheiden wir im Frühling. Dieses Jahr fange ich keinen Krieg mehr an.«
Brandenburg, April 941
»Es fühlt sich seltsam an«, bekannte Dragomira, während sie die Füße in die Steigbügel führte. »Wieder nach Sachsen zu reiten, meine ich. Obendrein an den Hof.«
»Bleib hier, wenn es dir nicht geheuer ist«, sagte Widukind – nicht zum ersten Mal.
Tugomir vermutete, Widukind wäre es sogar lieber gewesen, Dragomira hätte ihn allein reiten lassen. Der Bischof von Brandenburg musste am Hoftag anlässlich des Osterfestes natürlich teilnehmen. Die Frau des Bischofs hingegen sollte an einem Hof wie Ottos, wo die Gesetze der Kirche oberstes Gebot waren, lieber kein allzu herzliches Willkommen erwarten …
Aber Dragomira schüttelte ihren Dickschädel. »Ich kann reiten, wohin es mir beliebt, Bischof Widukind. Und wenn auch nur der kleinste Funken Hoffnung besteht, dass mein Sohn zu Ostern am Hof sein wird, wirst du mich nicht davon abhalten, ihn zu sehen. Ich bedaure, wenn ich dir peinlich bin, aber das hättest du dir früher überlegen sollen.«
Widukind wandte den Blick zum verhangenen Himmel, als bete er um Geduld.
Tugomir lachte in sich hinein. »Alsdann. Gute Reise.« Er versetzte Dragomiras stämmiger Fuchsstute einen aufmunternden Klaps. »Gott behüte euch dort drüben bei den barbarischen Sachsen.«
Alveradis hakte sich bei ihm ein. »Und führe euch gesund wieder zu uns zurück.«
Dragomira wandte sich im Sattel um, um sich zu vergewissern, dass die Amme mit der kleinen Gertrudis im Arm direkt hinter ihr ritt, dann winkte sie ihrem Bruder und ihrer Schwägerin zum Abschied zu und folgte Widukind und den Männern der Eskorte aus dem Tor der Hauptburg.
»Ich hoffe, die Königinmutter wird nicht gar zu abscheulich zu ihr sein«, sagte Alveradis besorgt. »Auch wenn der König ihr die Kontrolle über das Stift entzogen hat, ist in Quedlinburg doch niemand so mächtig wie sie. Und die Menschen dort vergöttern sie und folgen ihrem Beispiel.«
»Hm«, machte Tugomir unbestimmt. »Ich nehme an, meine Schwester wird mit ihr fertig. Darin hat sie schließlich jahrelange Übung.«
»Wohl wahr …«
Ohne Eile schlenderten sie zurück Richtung Halle. Der Tag war grau und windig, aber nicht kalt, und im Burghof war viel Betrieb. Auch hier waren die letzten Vorbereitungen für das große Frühlingsfest im Gange – nur dass es im Slawenland die Tagundnachtgleiche war, nicht die Auferstehung Christi, die begangen wurde.
Tuglo, Godemir und die übrigen Priester hatten die Sterne befragt und den heutigen Tag als denjenigen ermittelt, da Licht und Dunkelheit genau gleich lang währen würden. Ostern hingegen war erst in drei Tagen. Nach dem Kalender der Christen war heute Gründonnerstag, und das stellte Tugomir, Alveradis und die übrigen Christen auf der Brandenburg vor ein Problem: Für sie war es ein Tag des Fastens und der Buße, während die Heveller ein Fest feiern würden. Und Tugomir wusste, es würde ausschweifend sein.
»Nein, nein, ihr Taugenichtse, so geht das nicht!«, schimpfte Slawomir und eilte vom Eingang des Jarovit-Tempels hinüber zu der Stelle, wo die Priesterschüler Holz und Stroh aufschichteten. »So fällt uns das Feuer ja auseinander, ehe der Winter auch nur warme Füße bekommen hat. Ihr müsst die Scheite enger legen, die Strohlagen dazwischen müssen dicker sein. Und das Ganze muss viel
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