Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
glauben, es ist eine Vergiftung«, antwortete der König.
Aber Tugomir schüttelte den Kopf. »So würde ich es nicht nennen.«
Vater und Bruder des Kranken sahen ihn verwundert an, während Otto in die Kissen zurücksank und die Augen schloss.
»Er hat irgendetwas gegessen oder getrunken, das für andere Menschen völlig harmlos ist. Aber nicht für ihn.« Unbarmherzig knuffte er Otto auf die Schulter. »Augen auf! Hast du so etwas schon früher gehabt?«
Der junge Prinz nickte. »Nie so schlimm. Aber Ausschlag … Kopfweh …«
Tugomir hatte nichts anderes erwartet. »Es wird jedes Mal schlimmer, wenn er es zu sich nimmt«, erklärte er dem König. »Ihr solltet herausfinden, was es ist. Denn das nächste Mal bringt es ihn mit Sicherheit um.«
»Aber wie?«, fragte König Heinrich ratlos. »Wie kann so etwas überhaupt sein? Er isst Brot, das allen anderen gut bekommt, und ihn vergiftet es?«
»Brot vermutlich nicht«, entgegnete Tugomir. »Das isst er jeden Tag. Irgendetwas Selteneres.«
»Was immer es ist, wie kann es ihm schaden und anderen nicht?«, fragte Thankmar, und er schien eher fasziniert als furchtsam.
Tugomir hob die Schultern. »Es ist ein Geisterfluch. Nicht immer der gleiche. Es kommt darauf an: Ist es ein Fisch, der ihn krank macht, hat er einen Wassergeist erzürnt. Ist es ein Getreide, war es ein Erdgeist. Und so weiter.«
König und Prinz, die nicht an Geister glaubten – jedenfalls nicht offiziell –, tauschten einen unbehaglichen Blick. »Und woher willst du das so genau wissen?«, fragte Thankmar skeptisch. »Hast du solche Fälle schon früher erlebt?«
Tugomir schüttelte den Kopf. »Dieser Fluch ist sehr selten.« Aber der alte Dobromir, der sein Lehrer in den Heilkünsten gewesen war, hatte ihm so genau und unvergesslich beschrieben, wie dieser Fluch wirkte, dass Tugomir auf einen Blick gewusst hatte, was Prinz Ottos Leben bedrohte.
»Woher willst du dann wissen, dass es so ist?«, hakte Thankmar angriffslustig nach.
Tugomir verzog für einen Lidschlag die Mundwinkel nach oben. »Warum warten wir nicht einfach bis morgen früh? Wenn dein Bruder dann noch lebt, weißt du, dass ich recht hatte.« Er überlegte einen Moment, dann wies er Semela an: »Wechsel die Nesselumschläge und die kalten Kompressen. Dann brauche ich dich eine halbe Stunde nicht. Lauf hinüber in die Küche und lass dir alles aufzählen, was gestern Abend in der Halle aufgetragen wurde. Jede Zutat, hörst du.«
Der Junge nickte, wandte aber düster ein: »Ekkard reißt mir das Herz raus …«
»Prinz Thankmar wird dich begleiten.«
»Tatsächlich?«, fragte dieser, offenbar wider Willen belustigt.
»Erkläre dem Koch, worum es geht«, trug Tugomir ihm auf. »Er soll sich anstrengen, es ist wichtig.«
Thankmar führte Semela zur Tür. »Man kann merken, dass du es früher gewohnt warst, Befehle zu erteilen, Tugomir.«
Der wandte sich um und sah ihm ins Gesicht. »Es gab eine Zeit, da besaß ich mehr Ansehen als du. Und mehr Ehre.«
Thankmar lächelte. »Oh, das ist nicht weiter schwer …«
Es dauerte die halbe Nacht, bis die Krise gebannt war.
Tugomir wusste, dass es letztlich nicht die Atemnot war, die die in dieser Weise von den Geistern Verfluchten umbrachte, auch nicht das Fieber und erst recht nicht der Hautausschlag. Ihr Herz versagte früher oder später beim Kampf gegen das geheimnisvolle Gift. Entweder es zerbarst oder es verkohlte, hatte Dobromir gesagt, aber genau wisse er es nicht. Prinz Ottos Herz flatterte und stolperte durch die Nacht. Er verbrachte die dunklen Stunden irgendwo zwischen Schlaf und Ohnmacht, so unruhig, dass Tugomir schließlich nichts anderes übrigblieb, als seine Hände festzuhalten, damit er sich nicht die Umschläge herunterriss und blutig kratzte. Als der Hevellerprinz es nicht mehr aushielt, ihn zu berühren, fand er ein Stück Kordel und fesselte ihm die Hände. Thankmar, der mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Schemel saß, den Rücken an die Bretterwand gelehnt und hin und wieder herzhaft gähnte, hinderte ihn nicht. Er war vermutlich hier, um dafür zu sorgen, dass Tugomir dem Kranken nicht den Rest gab, sobald er mit ihm allein war, doch er schien ebenso unwillig, seinen Bruder bei den Händen zu halten, wie Tugomir es war.
Kurz nach Mitternacht setzte die heilsame Wirkung der Stutenmilch – auf die Dobromir Stein und Bein geschworen hatte – endlich ein. Der Herzschlag wurde gleichmäßiger und kräftiger, und auch die Atmung
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