Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Gesicht – das sonst einen Ausdruck natürlicher Heiterkeit trug, den selbst die wüstesten brüderlichen Heimsuchungen nicht vertreiben konnten, Thankmar hatte es oft genug versucht –, dieses Gesicht wirkte jetzt krank und gramgefurcht und alt.
»Ist es eine Vergiftung?«, fragte Mathildis. Es klang verdächtig gelassen.
Der Leibarzt fühlte Otto die Stirn und schnupperte seinen Atem. Dann richtete er sich auf. »Ich fürchte, meine Königin. Wir müssen ihm Essig einflößen, damit er erbricht. Vielleicht kann er so wenigstens einen Teil des Giftes wieder ausscheiden. Und ich werde ihn zur Ader lassen, damit das vergiftete Blut seinen Körper verlassen kann.«
Mathildis sah zu Thankmar. »Geh, nimm dir den Koch vor und hol aus ihm heraus, was er weiß.«
»Aber es könnte ebenso gut einer der Diener …«, begann Bruder Matthias.
»Bei einer Vergiftung haben die Köche immer die Hand im Spiel«, fiel Mathildis ihm ins Wort.
Der König nickte seinem Ältesten zu. »Thankmar.« Es war irgendwo zwischen Befehl und Flehen.
»Also schön.« Thankmar verließ das geräumige, dämmrige Quartier seines Bruders, das wie alle Wohngemächer der königlichen Familie an die Südwand der großen Halle gebaut war, und überquerte den Innenhof auf dem Weg zur Küche. Dann hatte er einen Einfall, machte auf dem Absatz kehrt und eilte zu der Wiese am Fischteich, wo die schäbigsten Grubenhäuser der ganzen Pfalz zu finden waren.
Vor einem blieb er stehen. »Prinz Tugomir?« Ein wenig unschlüssig tauchte er durch die niedrige Tür. Gott, was tu ich hier eigentlich? Die Königin wird mir den Kopf abreißen …
»Prinz Thankmar.« Der slawische Fürstensohn saß auf einem Schemel vor einem wackligen Tischchen und verbrannte irgendwelche Kräuter in einer tönernen Schale.
»Hier ist Feuer verboten«, bemerkte Thankmar abwesend.
»Was du nicht sagst. Bist du eigens hergekommen, um die Einhaltung der Feuerschutzmaßnahmen zu überwachen?«
Thankmar schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, um deine Hilfe zu erbitten. Otto ist krank. Vergiftet vermutlich. Es sieht … nicht gut aus. Das Gesinde sagt, du bist heilkundig.«
Tugomir wandte langsam den Kopf ins Licht, und erst jetzt erkannte Thankmar, dass der Hevellerprinz kaum besser aussah als Otto. »Tut mir leid. Gerade heute bin ich nicht geneigt, einem Sachsenprinzen zu helfen. Wenn dein Bruder stirbt, werde ich wissen, dass einer meiner Götter meine Gebete erhört hat.«
Natürlich, ging Thankmar auf, die verdammte Schlacht. Tausende slawischer Krieger gefallen und ertrunken, zwanzig Dutzend Gefangene, die auf ihre Hinrichtung warteten …
Er ballte verstohlen die Linke zur Faust und mahnte sich zur Ruhe. Er hatte das Gefühl, dass Ottos Zeit so schnell dahinrann wie Wasser durch ein Sieb, aber er wusste, es würde nichts nützen, diesen stolzen slawischen Sturkopf mit gezückter Klinge zwingen zu wollen. Thankmar trat einen Schritt in die armselige Hütte hinein. »Solltest du ihn wirklich retten können, wird es kaum einen Wunsch geben, den der König dir abschlagen würde.«
Tugomirs Augen verengten sich. »Willst du behaupten, er würde mir zweihundertvierundfünfzig Slawenleben schenken für das seines Sohnes?«
»Nein«, musste Thankmar zugeben.
»Warum nicht? Denkt ihr etwa nicht, zweihundertvierundfünfzig Slawen seien zusammen so viel wert wie ein Sachse?«
»Falls es so ist, denkt ihr umgekehrt das Gleiche, nicht wahr?«, entgegnete Thankmar scharf. »Jetzt komm schon, Mann, du kannst Otto deine Hilfe nicht einfach so versagen …«
»Oh doch«, gab Tugomir unbeeindruckt zurück. »Als ich meinen Bruder das letzte Mal sah, war er mausetot, von einer sächsischen Klinge erschlagen. Kannst du ihn mir zurückgeben?«
»Das war im Krieg.«
»Er ist noch nicht vorbei.«
»Aber Otto ist der Vater deines Neffen oder deiner Nichte.«
»Lass dir etwas Besseres einfallen, Prinz«, knurrte Tugomir.
Da hat er wirklich recht, es war ein erbärmlicher Einwand, musste Thankmar gestehen. Er dachte einen Moment nach und sagte schließlich leise: »Vermutlich gibt es nichts, womit ich dich überzeugen könnte. Ich glaube auch nicht, dass es helfen würde, wenn ich dich auf Knien anflehte, denn du bist kein Mann, der dergleichen sonderlich schätzt.«
»Anders als Gero.«
»Anders als Gero«, räumte Thankmar freimütig ein. »Also bleibt mir nur die Hoffnung, dass dein Stolz als Heiler dir keine Ruhe lässt. Denn wenn du es nicht versuchst, wirst du nie
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