Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
hatte.
»Wer reitet da?«, rief eine barsche Stimme, und ein Wächter nahm ein brennendes Scheit aus dem Feuer und trat den beiden Reitern entgegen.
Sie hielten an, und Thankmar antwortete: »Prinz Tugomir vom Volk der Heveller und ich.«
»Prinz Thankmar …«
»Genau.«
Der Wachmann wurde ganz fahrig vor Ehrfurcht. Er verbeugte sich, wobei ihm die provisorische Fackel aus der Hand fiel und auf seinem Fuß landete. Er zog zischend die Luft durch die Zähne.
Thankmar bedachte ihn mit einem Kopfschütteln. »Wer hat hier heute Nacht das Kommando?«
»Euer Vetter, Graf Siegfried, mein Prinz.«
»Das trifft sich gut«, erwiderte Thankmar und raunte Tugomir zu: »Geros älterer Bruder, und von etwas maßvollerem Temperament.« Er überlegte einen Moment, ehe er dem Wachmann befahl: »Führe diesen Mann hier zu den slawischen Gefangenen. Behalt ihn im Auge, aber sei höflich zu ihm. Gib ihm Licht und alles, was er sonst noch braucht, verstanden?«
Der Soldat nickte eifrig.
»Also gut. Dann wollen wir Vetter Siegfried mal aus dem Schlaf reißen.« Thankmar hob die Hand, als wolle er sie Tugomir auf die Schulter legen, und ließ sie dann hastig wieder sinken. »Viel Glück, mein Barbarenprinz. Gott, ich beneide dich wirklich nicht.«
König Heinrichs Panzerreiter lagerten auf einem Stoppelfeld, und es waren mehr, als Tugomir sich in seinen schlimmsten Albträumen vorgestellt hätte. Zelte standen in unordentlichen Haufen beieinander, aber viele der Soldaten lagen auch einfach in Decken gewickelt an ihren verloschenen Kochfeuern. Und Tugomir entdeckte weit und breit niemanden, der sie bewachte. »Wieso laufen sie nicht scharenweise davon?«, fragte er. »Wollt ihr denn nicht alle nach Hause, um eure Ernte einzubringen?«
Sein Bewacher schüttelte den Kopf. »Keiner von uns muss säen und ernten.«
»König Heinrich bezahlt euch?« Bei allen Göttern, er muss viel reicher sein, als ich dachte.
Aber der Soldat belehrte ihn eines Besseren: »Nein, nein. Es funktioniert so: Jeder neunte Mann aus jedem Dorf wird Soldat. Jedes Dorf entscheidet selbst, wen es schickt. Die anderen acht Männer bestellen für den neunten die Felder, versorgen sein Vieh, haben ein Auge auf sein Weib und seine Bälger und so weiter. Das hat der König sich ausgedacht, damit wir uns gegen die Ungarn wehren können, wenn sie wiederkommen. Schlau, was?«
Und gegen uns hat er sie erprobt, seine Berufssoldaten, dachte Tugomir. Er nickte wortlos.
»Und das ist noch nicht alles«, fuhr der Mann stolz fort. »Er hat auch überall im Land Fluchtburgen bauen lassen, wo die Bauern nach einem bestimmten Plan Vorräte einlagern müssen. Da können dann alle hin und haben genug zu essen. Wenn die Ungarn kommen, mein ich.«
»Die Slawen sollten es auch so handhaben«, gab der Hevellerprinz zurück. »Wenn die Sachsen kommen, meine ich.«
Wie er gehofft hatte, verschlug das dem Wachmann vorübergehend die Sprache.
Überall im Lager wimmelte es von Pferden. Sie standen zusammengebunden auf provisorischen Koppeln oder vor den Zelten angepflockt und erfüllten die warme Nachtluft mit ihrem Geruch. Dagegen war nichts einzuwenden – Pferde rochen wesentlich besser als so mancher Sachse, hatte Tugomir festgestellt.
Der Wachmann brachte ihn zu einem Platz in der Mitte des Lagers, der von einem engen Ring aus Wachfeuern erhellt war, jedes flankiert von zwei Bewaffneten. Tugomir führte sein Pferd am Zügel.
»Dieser hier darf zu den Gefangenen, sagt Prinz Thankmar«, erklärte Tugomirs Begleiter seinen Kameraden, die sie bereitwillig passieren ließen.
Als sie die Wachfeuer hinter sich ließen, erkannte Tugomir zwei Gruppen von Männern, die ein gutes Stück voneinander getrennt im Gras saßen oder lagen, an Händen und Füßen gefesselt.
Tugomir drückte dem Wachmann die Zügel in die Hand. »Warte hier.«
Er nahm ihm die Fackel ab und ging zuerst zu den Obodriten. Sorgsam achtete er darauf, dass sein Schritt sich nicht verlangsamte. Niemand durfte merken, wie sehr ihm graute.
Einige der Krieger kamen ungeschickt auf die Füße, als er sich näherte.
»Wer bist du?«, fragte einer ihn angriffslustig, ein langer Kerl um die dreißig, dessen verfilztes blondes Haar bis auf die breiten Schultern reichte. »Ein Heveller«, fügte er hinzu, als er ihn erkannte.
»Mein Name ist Tugomir. Fürst Vaclavic ist mein Vater. Oder war, ich bin nicht sicher.«
»Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er noch munter genug,
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