Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Glaubens, seiner Kompromissbereitschaft gegenüber König Heinrich und seinen Friedensabsichten. Er verspürte einen Stich in der Magengegend, als ihm die Frage in den Sinn kam, ob er Wenzel vielleicht ähnlicher geworden war, als er je sein wollte. Gewiss, er hatte nicht viel übrig für den Buchgott, der ihn mit Argwohn erfüllte. Er hatte auch nichts von dem vergessen, was geschehen war, weder die Nacht auf der Brandenburg noch das Blutbad bei den Daleminzern oder die Schlacht von Lenzen. Und trotzdem. Trotz alledem war ihm viel von seinem Hass auf die Sachsen abhandengekommen.
Jedenfalls auf die meisten Sachsen. Als er indes in Geros farblose Augen sah, wurde ihm beinah flau vor Abscheu. »Wenzel war nicht das, was du einen Heiden nennst«, sagte er scheinbar gleichmütig. »Und ich nehme an, dafür hat er jetzt mit dem Leben bezahlt. Wie wär’s, wenn du ihm ein wenig Respekt entgegenbringen würdest?«
Gero machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. »Was fällt dir ein, du …«
Sein Bruder hielt ihn am Arm zurück. »Er sagt die Wahrheit, Gero. Ich fürchte, wenn dieser Boleslaw die Macht in Prag übernimmt, werden wir Anlass haben, uns Wenzel zurückzuwünschen.«
Viel Glück, Vetter Boleslaw , dachte Tugomir.
»Woher habt ihr die Nachricht?«, fragte Thankmar. »Ich meine, ist es wirklich sicher?«
Siegfried nahm den Becher, den der Diener ihm reichte, setzte sich mit dem Rücken zur Tafel auf die Bank und nickte. »Ein Sklavenhändler brachte die Neuigkeiten nach Merseburg, er kam direkt aus Prag. Ich kenne ihn seit Jahren, er ist vertrauenswürdig.«
»Was sonst hat er mitgebracht?«, fragte Thankmar, und es funkelte in seinen blauen Augen. Böhmen war berühmt für seinen Sklavenhandel, der dem kleinen Fürstentum zu Reichtum verholfen hatte, denn die furchtlosen und reiselustigen böhmischen Händler holten ihre Waren aus weit entlegenen Regionen östlich oder südlich ihres Landes und brachten exotische Sklaven in die Handelsstädte des Reiches. Und Sklavinnen.
»Ich wüsste nicht, was dich das kümmern sollte«, sagte Egvina spitz, die plötzlich wie aus dem Boden gestampft hinter Thankmar stand und ihm die Hand auf die Schulter legte – ob freundschaftlich oder besitzergreifend war schwer auszumachen.
Siegfried und Gero grüßten sie höflich, wandten aber verlegen den Blick ab.
Egvina war kurz nach Ottos und Edithas Hochzeit nach Hoch-Burgund gereist, um dort vereinbarungsgemäß König Rudolfs Bruder Ludwig zu heiraten. Doch der arme Bräutigam war wenige Wochen nach ihrer Vermählung gestorben. An der Schwindsucht, hatte Egvina beteuert, als sie plötzlich mit beachtlichem Gefolge und um ihre Morgengabe – einträgliche Ländereien im Thurgau – reicher wieder in Magdeburg erschienen war. Tugomir war sich nie ganz schlüssig, ob er ihr glaubte, und auch jetzt glitt sein Blick zu dem Karfunkel, den sie an einer Silberkette um den Hals trug. Diese ungebildeten Christen hier verstanden vielleicht nichts von solchen Dingen, aber er kannte die Macht der Steingeister. Er glaubte nicht, dass Egvina ihren Gemahl auf dem Gewissen hatte. Doch er vermutete, dass Ludwig nicht gestorben wäre, hätte Thankmar ihr nicht vor ihrer Abreise diesen Karfunkel umgehängt.
Egvina jedenfalls schien keine Eile zu haben, zwecks einer Wiederverheiratung an den Hof ihres Bruders nach Wessex zurückzukehren, sondern hatte es sich als Schwester der zukünftigen Königin in Edithas Haushalt bequem gemacht. Da sie eine Bereicherung jeder Gesellschaft war, hatte niemand Einwände, schon gar nicht König Heinrich, der ohnehin ein Auge zudrückte bei allem, was seine Söhne hier in Magdeburg trieben. Es hätte auch niemand mit Gewissheit sagen können, dass Egvina Thankmars Bett teilte – niemand außer Tugomir –, doch alle vermuteten es, und das war es eben, was die Ankömmlinge verlegen machte.
»Siegfried, Gero, welch eine Freude«, sie neigte huldvoll den Kopf und nutzte die Gelegenheit, Tugomir ein mutwilliges Koboldlächeln zuzuschmuggeln, wusste sie doch genau, wie es zwischen ihm und Gero stand. »Hat man euch anständig versorgt? Wollt ihr nicht die nassen Mäntel abnehmen?« Sie klatschte in die Hände, und zwei Mägde kamen eilig von der hohen Tafel herüber. »Heißen Würzwein, Brot, kaltes Fleisch und trockenes Leinen«, trug sie ihnen auf, und wieder an die Gäste gewandt: »Wo habt ihr euer Gefolge gelassen? Im großen Gästehaus?«
Die Brüder bejahten.
»Geh und kümmere dich um sie,
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