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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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sich Widukind, und wieder wäre Dragomira um ein Haar zusammengezuckt, denn sie hatte ihn nicht näher kommen hören.
    Sie wandte sich zu ihm um. Was sie im Licht der Öllampe sah, überraschte sie nicht. Sein Lachen hatte sie vorgewarnt. Seine Ähnlichkeit mit Otto war vielleicht nicht besonders augenfällig, aber unbestreitbar vorhanden. Das gleiche weizenblonde Haar. Die gleichen geschwungenen Lippen, die schmalen Brauen. Nur die Augen waren braun, fast so dunkel wie ihre eigenen. Sie legte das schwere Buch in seine ausgestreckten Hände. »Ihr seid ein Verwandter der Königin?«
    »Ihr Neffe.« Er sah sie unverwandt an. »Woher wisst Ihr das?«
    »Geraten. Wegen des Namens. Es heißt, Königin Mathildis stamme von jenem berühmten Sachsenherzog Widukind aus heidnischen Zeiten ab.«
    Er nickte. »Der sich zu guter Letzt doch noch besonnen hat und Christ wurde. Wir sind ziemlich stolz auf ihn. Darum ist der Name in unserer Familie sehr beliebt. Mein älterer Bruder hieß auch so, aber er starb an Wundbrand, kurz bevor ich zur Welt kam. Darum bekam ich seinen Namen, aber ich fürchte, ich habe ansonsten nicht sehr viel mit ihm gemeinsam. Das hat mein Vater jedenfalls immer gesagt, wenn er mir die Leviten las.« Er lächelte, und von der Traurigkeit in diesem Lächeln wurde Dragomira schon wieder eng ums Herz.
    »Redet Ihr immer so viel?«, hörte sie sich sagen.
    Widukind nickte mit Inbrunst. »Immer, fürchte ich. Ich habe auch noch einen kleinen Vetter, der Widukind heißt und der dem Kloster in Corvey versprochen ist. Das ist übrigens eine sehr beeindruckende Bibliothek, die Ihr hier habt, Schwester Dragomira.«
    Sie folgte seinem Blick. »Ja«, stimmte sie zu und machte aus ihrer Befriedigung keinen Hehl. »Das ist etwas, worauf wir hier stolz sind.«
    »Zu Recht.« Er folgte ihr zurück zur Tür. »Es tut mir leid, dass ich so spät komme. Der Weg war viel weiter, als ich dachte. Glaubt Ihr, jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um Äbtissin Hilda meine Aufwartung zu machen?«
    Dragomira drückte ihm das Licht in die freie Linke, bemerkte dabei, wie groß und feingliedrig seine Hände waren, und sperrte zu. »Ich würde sagen, das kommt darauf an, was Ihr von ihr wünscht.« Sie nahm ihm die Öllampe wieder ab.
    »Oh, ich will mich nur vorstellen. Sie erwartet mich. Die Königin hat mich ihr vorgeschlagen, versteht Ihr, doch auch wenn sie die großzügige Förderin dieses Stifts ist, könnte es ja trotzdem sein, dass die Mutter Oberin nicht besonders versessen auf ihre Empfehlungen ist.«
    Dragomira verstand nicht so recht, was er meinte, bis er den warmen Mantel über die Schulter zurückschlug, um sich das Buch unter den Arm klemmen zu können. Erst da sah sie die Stola und das dunkle Priestergewand.

Magdeburg, Oktober 935
    »Ja, recht so, Wilhelm, lass dir nichts gefallen!«, rief Thankmar.
    Der sechsjährige Wilhelm verpasste seinem Halbbruder einen ordentlichen Faustschlag vor die Brust. Liudolf taumelte zurück, landete auf dem Hintern und fing an zu heulen.
    Tugomir seufzte. »Gut gemacht, Thankmar«, raunte er dem Prinzen zu, erhob sich von der Bank und trat zu den beiden kleinen Streithähnen. Nicht besonders sanft packte er seinen Neffen am Arm und rüttelte ihn ein bisschen. »Was hab ich dir gesagt?«, fragte er streng.
    Wilhelm zog die Schultern hoch, erwiderte seinen Blick aber herausfordernd. »Was weiß ich? Du sagst mir jeden Tag so viele Dinge.«
    Tugomir packte fester zu. »Denk noch mal nach«, riet er.
    Wilhelm blinzelte. Der eiserne Klammergriff um seinen Arm schmerzte ihn zweifellos, aber er schwieg lange genug, um zu bekunden, dass ihn das nicht einschüchterte. Erst dann zeigte er Einsicht. »Du hast gesagt, ich darf mich nicht mit ihm prügeln, weil er ein Jahr jünger ist als ich.«
    Tugomir ließ ihn los.
    »Er ist aber genauso groß wie ich«, fuhr der Junge fort. »Darum bin ich nicht sicher, ob es gerecht ist.«
    »Das braucht dich nicht zu bekümmern«, gab sein Onkel zurück. »Es reicht, wenn du mir gehorchst.« Er wandte sich ab, zog Liudolf auf die Füße und klopfte Stroh von seinen Kleidern. »Hör auf zu flennen. Was soll dein Vater denken, wenn er dich so sieht?«
    Das wirkte immer, bei allen beiden. Für die Anerkennung ihres Vaters waren sie gewillt, sich mustergültig zu benehmen – jedenfalls vorübergehend. Der kleine Prinz Liudolf fuhr sich schleunigst mit dem Ärmel über die Augen. Dann hob er den Ball aus den Binsen auf, lief ein paar Schritte Richtung Fenster und

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