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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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warf ihn über die Schulter Wilhelm zu, der ihn geschickt auffing. Einträchtig und einigermaßen wild tobten die beiden Jungen zwischen den langen Tischen entlang, ihre Rauferei vergessen.
    Es herrschte ein ziemlicher Betrieb in der Halle. Das war zu dieser Tageszeit meistens der Fall, und heute hatte das abscheuliche Wetter alle hierhergetrieben, die nichts Dringendes zu erledigen hatten: Ein paar dienstfreie Wachen saßen an einem der unteren Tische und würfelten, drei Priester und zwei Mönche aus der Kanzlei standen in der Mitte des hohen Saals am Feuer und erregten sich über irgendein Schriftstück, das einer von ihnen in der Hand hielt. Eine Gruppe junger Edelleute beiderlei Geschlechts aus Ottos und Edithas Gefolge saß über bronzenen Weinbechern und brach allenthalben in Gelächter aus, und wie immer hockten die alten Weiber zusammen, spannen oder nähten und tauschten Neuigkeiten aus. Drei junge Daleminzer hatten neues Holz gebracht, stapelten es an der Stirnwand auf und tändelten mit den Mägden, die die hohe Tafel eindeckten. Wilhelm und Liudolf waren nicht die einzigen Kinder, die umhertollten.
    »In Wahrheit sind sie ein Herz und eine Seele«, bemerkte Thankmar, den Blick auf seine beiden Neffen gerichtet.
    Tugomir nickte. Es stimmte. Wilhelm und Liudolf waren die dicksten Freunde und steckten zusammen, wann immer man sie ließ. Da Wilhelm für die kirchliche Laufbahn bestimmt war, musste er lesen und schreiben lernen, während Liudolf allmählich seine Waffenausbildung begann. Darum mussten sie vormittags getrennte Wege gehen, worüber sie sich beide gern und wortreich beklagten.
    »Ich finde das regelrecht unheimlich«, fuhr Thankmar fort. »Du solltest es fördern, wenn sie sich prügeln, statt Wilhelm zuzusetzen. Diese Eintracht unter Brüdern ist nicht natürlich. Denk an Kain und Abel. Ach nein, entschuldige, du bist ja ein armes Heidenkind. Dann denk an Otto und mich. Oder an deinen toten Bruder mit dem unmöglichen Namen und dich selbst. Brüder müssen miteinander balgen und wetteifern, wie sollen sonst Männer aus ihnen werden?«
    »Vielleicht erklärst du das Editha bei Gelegenheit einmal«, schlug Tugomir vor. »Sie kommt immer im Zorn über mich, wenn Wilhelm ihrem kostbaren Söhnchen angeblich ein Haar gekrümmt hat.«
    Thankmar hob vielsagend die Schultern. »Liudolf ist ihr Augapfel, was erwartest du? Und natürlich kann sie Wilhelm nicht ausstehen. Wobei sie sich große Mühe gibt, das nicht zu zeigen, das muss man ihr wirklich lassen. So ähnlich wie Mathildis mit mir damals.«
    »Wobei du kein Bastard bist«, schränkte Tugomir ein.
    »Darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein, wie du weißt«, konterte Thankmar. »Und außerdem würde niemand wagen, Wilhelm spüren zu lassen, dass er ein Bastard ist.«
    Tugomir nickte. Er wusste, Thankmar hatte nicht unrecht: Ottos Gemahlin gab sich Mühe, dem Jungen eine gute Stiefmutter zu sein. Aber sie missbilligte seine schiere Existenz. Sie missbilligte Ottos Verbindung mit Dragomira – nicht weil sie bigott war, sondern weil es ihren Vorstellungen von einem angemessenen prinzlichen Betragen widersprach. Und sie missbilligte Tugomirs Anwesenheit und Stellung an ihrem Hof, weil er sich weigerte, ihren Buchgott anzubeten.
    Der Ball kam in ihre Richtung geflogen, und Thankmar bog den Kopf zur Seite, um nicht getroffen zu werden. »Es wäre gesünder für uns, wenn sie das draußen machen würden«, bemerkte er, nahm sicherheitshalber den Weinbecher in die Hand und leerte ihn in einem ordentlichen Zug.
    Tugomir sah unwillkürlich zum Fenster, doch es war mit einem Holzladen verrammelt, der mit einem von Edithas unzähligen Wandbehängen verdeckt war. Man hörte indes das Prasseln des Regens auf dem strohgedeckten Dach – ein Blick ins Wetter war überflüssig. »Kommt nicht infrage«, beschied er. »Liudolf war gerade erst krank, er muss sich noch vorsehen.«
    »Tja, wenn der kronprinzliche Leibarzt es sagt …«, spöttelte Thankmar. Er schenkte nach und reichte Tugomir den Becher.
    Tugomir nahm ihn und trank, damit Thankmar es nicht tat. Er wusste, das war absurd. Wenn er Thankmar auf diese Weise vor seinem übermäßigen Weingenuss hätte bewahren wollen, wäre Tugomir von früh bis spät sternhagelvoll gewesen. Aber manchmal besorgte ihn, wie viel der ältere der Prinzen trank, vor allem in der dunklen Jahreszeit. Und natürlich besorgte ihn, dass ihn das besorgte. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass sie Freunde

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