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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Jeannie hockt vor mir im Staub. Sie trägt wirklich einen glänzenden, hier und da etwas verbeulten Brustpanzer, natürlich mit Stickern beklebt (»Keep trying«, eine grinsende Sonne, »Peace, Love and all that Shit«, eine knallrote Zunge, »Elvis lebt«, »Meat is Murder«, »May the FORCE be with you«), Armschienen, dazu eine rote Jeans und Cowboystiefel, und auf ihrem grellweißen Haar sitzt ein Wikingerhelm, komplett mit Hörnern.
    »Wie siehst du denn aus?«, frage ich.
    Jeannie stützt sich auf einen respektablen Bidenhänder, grinst und stemmt sich an ihrem Schwert in die Höhe. »Auf in den Kampf«, sagt sie und bläst eine Kaugummiblase auf. »Hojoto h o. Die Oper ist nicht vorüber, ehe die dicke Dame gesungen hat.« Sie reicht mir die Hand und zieht mich vollends auf die Füße. Ich klopfe mir den Schmutz ab und sehe mich um. Diesen Keller kenne ich, aber zum ersten Mal bin ich wirklich ganz und gar hier, nicht in meiner Vergangenheit, sondern jetzt . Ich stehe auf einer dicken Schicht vermodernder, zu Staub zerfallender Knochen. Schädel grinsen mich an, schwarze Augenhöhlen starren mit einem blinden, hoffnungslosen Blick zu mir auf. Ich schaudere.
    Jeannie steht da und kaut ungerührt ihren Kaugummi. Sie rückt den Brustpanzer zurecht und reckt die Schultern. Ich sehe mich weiter um. Dort steht der Stein, der aussieht wie ein grob behauener Thronsitz. Er ist voller verkrusteter, dunkelbrauner Flecken. Als ich begreife, was das ist, wende ich mich hastig ab. »Wo ist er?«, frage ich Jeannie. Meine Stimme ist heiser.
    Sie hört auf zu kauen und zeigt mit einer weit ausholenden Handbewegung um sich und nach oben. »Hier«, sagt sie lakonisch.
    Ich schüttlte die Kälte ab, die in meine Knochen zu kriechen droht. Angst. Nein, keine Angst – Panik!
    »Das Haus«, sage ich, endlich begreifend. Cenn Crúach, so alt wie die Welt, einst ein finsterer, mächtiger Gott des Todes und der Dunkelheit. Blut ist sein Lebenselixier. Er ernährt sich seit Jahrtausenden von den Opfern, die man ihm bringt. Als die Menschen ihn zu vergessen begannen, hat er sich hierher verkrochen, an seine alte Knochenstätte, und sich den Nachschub, der ihn am Leben hält, gesichert.
    Ich hasse den ersten Vandenbourgh, der so leichtfertig seine Tochter und die Töchter seiner Kindeskinder an Cenn Crúach v erschacherte – ich hasse ihn mit einer Inbrunst, dass die Hitze in meinen Kopf steigt. Zum ersten Mal seit Langem spüre ich die Kalte Stelle nicht mehr. Der Druck, die Kälte – sie sind verschwunden.
    Ich lache und stemme die Hände in die Seiten. »Ich bin so ein Idiot«, sage ich zu Jeannie mit ihrem Monsterschwert. »Ich habe keine Waffe. Soll ich versuchen, ihn zu erwürgen?«
    Jeannie grinst und bohrt ihr Schwert zwischen die Knochen, die den Boden bedecken. »Hier liegen hundert Waffen«, sagt sie. »Zwischen deinen Knochen, Ary. Nimm dir, was du brauchst.«
    Mir wird kurz schwindelig. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, wessen Gebeine hier vermodern. Aber ich stehe auf all den Novembers – auf all den Adrians der vergangenen Jahrhunderte. Was für ein grausiger Gedanke.
    Ich überwinde den Ekel und das Gefühl, die Toten zu stören, und wühle an der Stelle, die Jeannies Schwert mir gezeigt hat. Meine Finger ertasten kaltes Eisen. Ich grabe widerwillig in den modernden Knochen herum und halte schließlich ein Schwert in den Händen – kleiner, leichter als Jeannies Bidenhänder. Es ist ein wenig verrostet, aber seine Schneide ist immer noch scharf. Er kann kommen, denke ich, und beinahe im gleichen Augenblick höre ich, dass jemand sich nähert. Schritte, langsam, zögernd, tastend.
    Ein gespenstisches, fahles Licht schimmert in der Türöffnung auf. Ich verberge mich hinter dem Thronsitz und halte den Atem an.
    Dann tritt eine schmale, weiß gekleidete Gestalt in das Gewölbe, Rosen im Arm, einen Kranz mit Schleier auf dem Kopf, die Augen weit und angstvoll geöffnet. Auf dem weißen Stoff i hres Kleides sind dunkle Flecken, ihre Arme und Hände blutbefleckt. Sie atmet hastig und flach, ich kann es beinahe spüren. Ohne nachzudenken, ohne innezuhalten, springe ich auf und laufe zu ihr. »November«, rufe ich, »hab keine Angst, ich bin hier!« Das Schwert, das ich nachlässig in der Hand halte, schlägt gegen den steinernen Sitz und gibt ein helles, sirrendes Klingen von sich.
    November fährt zusammen und lässt die Rosen fallen. Die Blütenblätter stäuben wie Schnee auf den Boden. Blutiger Schnee.
    »Adrian«,

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