Go West - Reise duch die USA
What’s up, Gina?
E s würde eine langweilige Reise werden, so viel stand fest. Unsere Eltern und die Schule hatten das organisiert. Ihr wisst, was ich meine. Was sollte da schon bei rumkommen? Vier Monate Schüleraustausch in New Jersey. Okay, New York liegt gegenüber, das war wenigstens etwas.
Aber sonst? Wir würden zwar in Amerika sein, aber vier Monate zur Schule gehen wie zu Hause auch, und vier Monate bei Trish und ihren Eltern wohnen. So wie Trish es gerade bei uns tat. Und jene zehn Wochen, die Trish bei uns verbrachte, waren nicht sonderlich aufregend. Na ja, für uns nicht, für sie vielleicht schon. Da sie bei uns lebte, musste sie Vollkornbrot zum Frühstück essen, was ihr nicht unbedingt behagte, denn Amerikaner kennen ausschließlich labbriges Brot in Form von viereckigen Gebilden, die man in den Toaster stecken muss. Einen Bäcker sucht man in Amerika vergeblich, es sei denn, es handelt sich um einen deutschen Auswanderer, der sich in den USA niedergelassen hat. Trish kaute also mit unglücklichem Gesicht auf ihrem Vollkornbrot herum, und wenn sie damit fertig war, nahmen wir sie mit zur Schule, wo sie gemeinsam mit neunzehn Klassenkameraden, die mit ihr aus ihrem Heimatort Fairmount zu uns nach Deutschland gekommen waren, versuchte, dem Unterricht zu folgen. Das meiste, was sie verstand, war Bahnhof. Die Schule war für sie vermutlich genauso aufregend wie für mich einst der Konfirmandenunterricht im Gemeindehaus bei Pfarrer Dornberg.
Wenn die Schule aus war, begleitete sie uns zu unseren Freundinnen, am Wochenende auf die eine oder andere Party, und wenn wir Jazzdance-Training oder eine Aufführung hatten, kam sie mit und schaute uns zu. Da sie nicht gerade … hm … schlank war, hing sie meist auf einem Stuhl herum, sprach ein paar Brocken Deutsch und trank Cola.
Wenn man einen Schüleraustausch macht, soll man Land und Leute kennenlernen und etwas erleben. Na ja, vom Land lernte Trish einiges kennen, den Weg zur Schule und zurück zum Beispiel oder den zum Einkaufszentrum, zur Sporthalle und zu der einen oder anderen unserer Freundinnen. Ach, ich vergaß den Weg zum ersten und letzten Museum, das wir mit ihr besuchten. Unsere Eltern wollten ihr etwas Kultur nahebringen, aber nach diesem einen Versuch hatten sie es wieder aufgegeben, denn Trishs Gewicht hatte nicht mehr als zwei Ausstellungsräume durchgehalten.
Ich mochte Trish. Sie konnte besser mit dem Computer umgehen als wir, vor allem mit Computerspielen . Und sie kannte Seiten im Internet, von deren Existenz wir vorher echt keine Ahnung gehabt hatten. Und meine Eltern auch nicht. Da Trish zudem wusste, wie man den Browserverlauf löschte, hatten wir durch sie zwei wesentliche Dinge fürs Leben gelernt.
»Gina«, sagte sie manchmal zu mir. »Deutschland ist eigentlich nicht viel anders als Amerika.«
Nun ja, da sie sich nicht allzu viel bewegte, konnte sie auch nicht sonderlich was kennenlernen. Aber vielleicht hatte sie ja recht. Was ihr auffiel, war, dass wir nicht so viele drive throughs hatten wie die Amerikaner. Zum Bäcker, zur Bank, zum Essen … in Amerika fährt man da nicht nur hin, sondern auch gleich rein, oder wenigstens langsam durch, während einem Angestellte von drinnen alles rausgeben oder in den Wagen werfen. Ich finde das cool. Ab sechzehn darf man da Autofahren! Ich würde gar nicht mehr aus meinem Cabrio rauskommen! Natürlich würde ich ein Cabrio fahren, und zwar einen knallroten 63er Ford Mustang. Die Sache hatte allerdings einen Haken. Erstens besaß ich nicht mehr als fünf Dollar, und zweitens darf man in Amerika zwar mit sechzehn Jahren Autofahren, aber nur, wenn man Amerikaner ist! Wir waren siebzehn und keine Amerikanerinnen. Ein Nichtamerikaner, und das ist ein Deutscher nun einmal, darf erst mit fünfundzwanzig ein Auto mieten. Somit entfiel das Einzige, was einem Jugendlichen in den USA recht früh erlaubt ist, leider für uns. Denn beinahe alle anderen interessanten Sachen darf man erst mit einundzwanzig, zum Beispiel Alkohol trinken …
Als Trish wieder abreiste, stellte ich mir also die vier Monate in New Jersey vor wie vier Monate Urlaub mit Tante Bärbel.
Ein Jahr mussten wir warten, ehe sich unsere Klasse zum Gegenbesuch nach Fairmount aufmachte. Als der Termin näher rückte, deckten uns unsere Eltern mit allerlei Reiseführern und Karten ein. Da konnte man einiges draus lernen. Zum Beispiel, dass ein süßer Nackedei von zwei Jahren, der am Strand mit einer 45er Magnum in der Hand
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