Das Haus am Nonnengraben
»Generalschlüssel! Es brennt! Zimmer 102. Schnell! Schnell!«
Darauf war der Chefkoch besser vorbereitet. Er montierte mit zwei Handgriffen den Feuerlöscher von der Wand und stürmte, das Gerät wie ein Gewehr im Anschlag, die Treppe hinauf. Hinter ihm die noch immer gefesselte Hanna, der Beikoch mit dem Zwiebelmesser, der Küchengehilfe, der Oberkellner, die Kellnerin und zum Schluss Wally mit dem Generalschlüssel.
»Lasst mich durch, Leut, lasst mich doch durch!«, schrie sie, als sich alles vor der Zimmertür von 102 staute. Hinter ihr drängte der ganze Pulk ins Zimmer. Der Chefkoch stürzte mit gezücktem Feuerlöscher zum Bett, um enttäuscht festzustellen, dass ihn dort keine lodernden Flammen erwarteten, sondern nur ein leise glimmendes Betttuch, in dem sich ein schwarzes Sengen langsam voranfraß. Bevor er noch in der Lage war, seinen Schaum in Gang zu setzen, hatte Wally ihn beiseite geschubst und die Bettdecke über die Brandstelle geworfen, um die Glut zu ersticken. »Mach mir ja keine Sauerei«, fuhr sie den armen Helden an, »wir haben doch schwer brennbares Bettzeug.«
»Kann mich mal bitte jemand entfesseln?«, rief Hanna aufgebracht.
Der Beikoch kam mit dem großen Messer, an dem noch immer kleine Zwiebelstückchen hingen, auf sie zu, doch auch er kam für eine hilfreiche Tat zu spät. Die Kellnerin drängte sich zwischen ihn und Hanna, löste den Ledergürtel, der ihre Hände am Körper festhielt und begann, die Fessel um ihre Handgelenke aufzuknoten. Zwei Zimmermädchen und eine Putzfrau eilten herbei und standen im Weg herum. Endlich öffnete der Oberkellner die Badezimmertür, auf die Benno einhämmerte.
Benno schoss heraus wie der Korken aus der Sektflasche, stürzte auf Hanna zu und schloss sie so fest in die Arme, dass sie das Gefühl hatte zu zerbrechen. »Du lebst!«, stammelte er. »Du lebst!«, und er küsste sie ausführlich und immer wieder; er küsste ihre roten Augen, er küsste ihr das Blut vom Hals, er küsste die geschwollenen Striemen an ihren Handgelenken und murmelte zwischendurch: »Wenn du«, Kuss, »noch einmal«, Kuss, »versuchst … mir zu helfen … kannst du … was erleben.«
»Ach, ich habe eigentlich vorerst genug erlebt«, antwortete Hanna.
26
Benno saß am Tisch des Vernehmungszimmers und versuchte, seinen Zorn zu zügeln. Wie dieses Arschloch ihn hereingelegt hatte, ärgerte ihn maßlos, aber viel schlimmer war, was er Hanna angetan hatte. »Willst du wirklich bei dieser Vernehmung dabei sein?«, hatte Werner ihn gefragt. Sie hatten sich darauf geeinigt, die Situation für das Spiel »guter Vernehmer – böser Vernehmer« zu nutzen. Benno wollte sich weitgehend aus der Befragung heraushalten und in erster Linie Joschi Schneiders Körpersprache beobachten, die geheimen Botschaften hinter der verbalen Ebene. Werner würde ihn mit einfachen, unverfänglichen Fragen so lange wie möglich am Reden halten. Aber Benno erwartete, dass Schneider sehr bald den coolen Yuppie herauskehren würde, der ohne seinen Anwalt gar nichts sagte.
Doch der Mann, den der Wachtmeister ins Vernehmungszimmer führte, war nicht mehr der smarte Schnösel, dessen Maske Benno am Vormittag im Hotel kennengelernt hatte. Die zwei Stunden in der Zelle hatten ihn merklich verändert. Er sah müde aus, die Arme hingen beziehungslos an ihm herab. Er wirkte, als hielte ihn nur etwas Trotz noch aufrecht, als sei er kurz davor, sich aufzugeben. Schweigend setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände.
Werner schaltete das Aufnahmegerät ein. »Fürs Protokoll: Es ist Freitag, der 7. September, 14 Uhr. Anwesend sind Staatsanwalt Berg, Kriminalhauptkommissar Sinz und Herr Dr. Joschi Schneider. Erste Vernehmung von Herrn Schneider. Herr Dr. Schneider, könnten Sie uns Ihre Personalien aufs Band sprechen?«
»Hm. Ich heiße Joschi Schneider, geboren am 13.12.1964 in München; dort wohne ich auch, in der Haiderstraße 5. Ich bin Zahnarzt. Noch was?«
»Danke, das genügt. Sagen Sie, Joschi klingt wie ein Kosename. Auf welchen Namen wurden Sie denn getauft?«
»Josef Arthur. Josef nach meinem Großvater väterlicherseits, Arthur nach meinem älteren Bruder.« Joschi senkte den Kopf. »Ach nein, nicht nach meinem älteren Bruder, sondern …«
»Sie haben einen Bruder?«
»Hatte. Er ist gestorben, im Alter von drei Wochen.«
»Und Ihre Tante, wie war die mit Ihnen verwandt?«
»Elfi Rothammer war die Frau des Bruders meiner Mutter.«
»Sie haben sie also entgegen Ihrer
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