Das Haus Am Potomac
Vogel selbst nie
ausstehen.« Er trat von hinten an sie heran, legte ihr die
Arme um die Taille. Instinktiv lehnte sie sich zurück. »Du
hast mir gefehlt, Pat.«
»Seit gestern abend?«
»Nein, seit zwei Jahren.«
»Fast wäre es dir gelungen, mich zu täuschen.« Einen
Augenblick lang gab sie sich der reinen Freude hin, ihm so
nahe zu sein; dann drehte sie sich um und sah ihn an.
»Sam, was ich will, ist nicht ein bißchen RestZuneigung. Warum …«
Er drückte sie fest an sich. Seine Lippen waren nicht
länger zögernd. »Mit Rest-Zuneigung ist es aus und
vorbei.«
Eine ganze Weile lang standen sie als dunkle Silhouetten
vor dem Fenster.
Schließlich trat Pat einen Schritt zurück. Sam ließ sie
los. Sie blickten einander an. »Pat«, sagte er, »alles, was
du gestern abend gesagt hast, stimmte – bis auf eines. Es
ist nichts zwischen Abigail und mir. Kannst du mir ein
wenig Zeit lassen, wieder zu mir zu kommen? Bis zu
unserem Wiedersehen diese Woche wußte ich nicht, daß
ich wie ein lebender Leichnam funktionierte.«
Sie versuchte zu lächeln. »Du scheinst zu vergessen, daß
auch ich etwas Zeit brauche. Das Wiederaufspüren alter
Erinnerungen ist nicht so einfach, wie ich mir das gedacht
habe.«
»Glaubst du, echte Eindrücke jener Nacht
wiederzuerhalten?«
»Echt, ja vielleicht, aber nicht sonderlich erfreulich. Ich
fange an zu glauben, daß es vielleicht meine Mutter war,
die in jener Nacht durchgedreht ist, und das ist für mich
irgendwie noch schlimmer.«
»Wieso nimmst du das an?«
»Nicht wieso ich das annehme, sondern warum sie
durchgedreht ist, interessiert mich jetzt. Na ja, noch einen
Tag, und die Welt bekommt The Life and Times of Abigail
Jennings präsentiert. Erst danach fange ich an, richtig
nachzuforschen. Ich wünschte nur, bei Gott, diese ganze
Sache wäre nicht so überstürzt worden. Sam, es gibt da
einfach zu vieles, das nicht zusammenpaßt. Und es ist mir
gleichgültig, was Luther Pelham denkt. Mit diesem Teil
über den Flugzeugabsturz wird Abigail sich nur selbst
schaden. Catherine Graney meint es ernst.«
Sie lehnte seine Einladung zum Essen ab. »Das war ein
anstrengender Tag. Ich bin um vier Uhr aufgestanden, um
mich auf die Aufnahmen im Büro der Senatorin
vorzubereiten. Und morgen machen wir die letzten
Aufnahmen. Ich werde mir ein Sandwich machen und
spätestens um neun im Bett liegen.«
An der Tür hielt er sie noch einmal fest. »Wenn ich
siebzig bin, bist du erst neunundvierzig.«
»Und wenn du hundertdrei bist, bin ich zweiundachtzig.
– Du läßt also Toby überprüfen und gibst mir Bescheid,
wenn du etwas über Eleanor Brown hörst?«
»Natürlich.«
Nachdem Pat gegangen war, rief Sam Jack Carlson an
und berichtete ihm schnell, was Pat ihm anvertraut hatte.
Jack pfiff leise. »Soll das heißen, der Kerl ist noch mal
dagewesen? Sam, da haben wir es mit einem Verrückten
zu tun. Selbstverständlich können wir diesen Toby
abchecken, aber tu’ mir einen Gefallen. Besorg mir eine
Schriftprobe von ihm, ja?«
35
Detective Barrott war nett. Er glaubte ihr, daß sie die
Wahrheit sagte. Aber der ältere Polizeibeamte war
unfreundlich. Immer und immer wieder mußte Eleanor
ihm dieselben Fragen beantworten.
Wie sollte sie ihm sagen, wo die siebzigtausend Dollar
geblieben waren, wenn sie sie nie gesehen hatte?
War sie wütend auf Patricia Traymore, weil sie diese
Sendung vorbereitete, deretwegen sie ihr Versteckspiel
vielleicht gezwungenermaßen hätte aufgeben müssen?
Nein, natürlich nicht. Zuerst hatte sie Angst gehabt, und
dann hatte sie erkannt, daß sie sich nicht länger verstecken
könnte, und war froh gewesen, daß es damit vorbei war.
Wußte sie, wo Patricia Traymore lebte? Ja, Vater hatte
ihr mal erzählt, daß Patricia Traymore in diesem AdamsHaus in Georgetown lebte. Er hatte ihr das Haus einmal
gezeigt. Als sich diese schreckliche Tragödie ereignet
hatte, war er im Georgetown Hospital im
Bereitschaftsdienst tätig gewesen. In das Haus
einbrechen? Natürlich nicht. Wie sollte sie? In der Zelle
hockte sie lange auf dem Rand der Koje und fragte sich,
wie sie hatte glauben können, genug Kraft zu besitzen, um
die Rückkehr in diese Welt zu ertragen. Die Eisengitter
und die die Intimsphäre verletzende offene Toilette, das
Gefühl, in der Falle zu sitzen, und die ständig
wiederkehrenden quälenden Depressionen, die sich wie
ein schwarzer Nebel um sie zu legen begannen.
Sie legte sich auf die Koje und dachte
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