Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
den ersten Zeilen wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht.
Mein liebster Patrick, ich vermisse dich so sehr, dass mein Herz …
Kraftlos sank ihre Hand, die noch immer den Brief hielt, auf den Schoß. Tränen verschleierten ihren Blick, und sie schluchzte hemmungslos auf. Es stimmte also wirklich, es gab eine andere Frau in Patricks Leben.
Was blieb ihr jetzt noch? Hatte sie nicht schon genug durchgemacht? Ihr war, als würde sie in ein bodenloses schwarzes Loch fallen. Es war nicht leicht für sie gewesen, erfahren zu müssen, dass sie das Gedächtnis verloren hatte, doch sie hatte versucht, stark zu sein. Und ausgerechnet jetzt, wo langsam wieder so etwas wie Sicherheit und Struktur in ihr Leben zurückkehrte, wurde ihr erneut der Boden unter den Füßen weggerissen. Womit hatte sie das verdient?
Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie rang verzweifelt nach Atem. Wie konnte Patrick ihr das antun? Sie liebte ihn doch!
Die Erkenntnis traf Stina wie ein Schlag. Ja, es stimmte tatsächlich, und im Grunde hatte sie es auch schon die ganze Zeit über gewusst. Sie liebte Patrick. Doch so, wie die Dinge im Augenblick standen, existierte für sie keine gemeinsame Zukunft. Nicht, wenn es tatsächlich eine andere Frau in Patricks Leben gab.
Wenn er die Affäre wenigstens nach ihrem Unfall beendet hätte! Doch Demis Aussage zufolge traf er diese Tinka Johansson noch immer. Wie sollte sie damit nur umgehen? War sie stark genug, um ihn zu kämpfen, selbst wenn sie nicht sicher sein durfte, dass sie ihn am Ende tatsächlich für sich gewinnen konnte? Auf den ersten Blick war Flucht der leichtere Weg. Doch wie sahen die Konsequenzen aus? Würde sie ihn jemals vergessen können? Wo sollte sie leben? Und wovon?
Ihre Eltern hatten ihr, wie sie jetzt wusste, ein kleines Vermögen hinterlassen. Doch was, wenn dieses Geld gar nicht mehr existierte? Unbehagen stieg in Stina auf, als sie an Demis Bemerkung dachte, die sie während ihres Ausflugs in die Ortschaft fallen gelassen hatte. Plötzlich schien die Andeutung, dass Patrick vielleicht gar nicht so sehr an ihr selbst, sondern an ihrem Vermögen interessiert gewesen war, viel mehr Sinn zu ergeben. Hatte er sie vielleicht doch nur geheiratet, um mit ihrem Erbe das marode Familienunternehmen zu sanieren?
Aufstöhnend barg Stina das Gesicht in den Händen. Über Geld hatte sie sich die ganze Zeit noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht war dies ein gravierender Fehler gewesen. Denn ohne Geld blieb ihr nicht einmal die Möglichkeit, sich notfalls allein ein eigenes Leben aufbauen zu können – so trist und düster es auch immer aussehen würde.
Eines stand fest: Sie musste Patrick zur Rede stellen, musste erfahren, ob es eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft für sie gab oder nicht – und danach ihr künftiges Handeln ausrichten.
8. KAPITEL
M it offenen Augen lag Stina in der Dunkelheit und lauschte in die Stille. Ihr Herz begann, heftig zu pochen, als sie das Geräusch eines Wagens vernahm, der die kiesgestreute Auffahrt hinauffuhr. Sie schaltete die Lampe auf ihrem Nachttisch ein und warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr. Es war fast halb eins.
Ihre Knie waren weich, als sie sich von der Matratze erhob. Barfuß lief sie zur Tür, öffnete sie einen Spalt weit und spähte hindurch. Es dauerte nicht lange, dann hörte sie Schritte auf der Treppe ins Obergeschoss, kurz darauf erschien Patrick in ihrem Blickfeld.
Stina hielt den Atem an. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Sie fürchtete sich vor dem, was nun unausweichlich folgen würde, doch es führte kein Weg daran vorbei. Es gab kein Zurück mehr, denn sie konnte auf diese Weise nicht weiterleben.
Als sie auf den Korridor trat, war Patrick bereits in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Da er die Tür nicht ganz geschlossen hatte, hörte sie ihn schon von Weitem mit jemandem reden. Hatte er Besuch? Nein, das konnte nicht sein, Stina hatte nur ihn heraufkommen sehen.
Argwöhnisch runzelte sie die Stirn. Als sie näher zur Tür trat, sah sie, wie Patrick mit einem Telefon am Ohr ruhelos durch den Raum lief. “Nein, Hendrik, vergessen Sie Ekberg. Das Einzige, was dieser Mann im Kopf hat, ist Profit, Profit und nochmals Profit. Sein sogenannter Teilhaberschaftsvertrag ist eine echte Frechheit. Ich konnte diesen Vertrag unmöglich unterschreiben. Und hätte er nicht einen Strohmann benutzt, um mich zu den Verhandlungen nach Stockholm zu locken, wäre ich gar nicht erst losgefahren.”
Für einen Moment
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