Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
war das etwas, das Stina ihm einfach nicht geben konnte, sosehr sie es sich selbst vielleicht auch wünschen mochte.
“Patrick ist ein guter Mann”, sagte Margrit, als spürte sie, was in Stina vorging. “Ich kann mir gut vorstellen, dass das alles im Augenblick sehr schwer für dich sein muss. Aber es wird schon werden, da bin ich sicher. Patrick liebt dich nämlich sehr, weißt du?” Dann schlug sie erschrocken eine Hand vor den Mund. “Oh, verzeih mir, Stina, ich bin manchmal so gedankenlos.”
Stina schüttelte den Kopf. “Nein, du musst dich nicht entschuldigen, Margrit. Ich wünschte ja selbst, mein Gedächtnis würde zurückkehren. Manchmal scheint die Erinnerung zum Greifen nahe, aber immer, wenn ich die Hand nach ihr ausstrecke, rückt sie in unerreichbare Ferne.”
“Ich will mich ja nicht in Dinge einmischen, von denen ich nichts verstehe, aber ich halte es für einen Fehler, wenn du dich allzu sehr unter Druck setzt. Erinnerungen lassen sich nicht erzwingen. Entspann dich, dann kommen sie von ganz allein zurück.”
“Ja, vielleicht”, erwiderte Stina resigniert. “Aber was, wenn nicht?” Sie seufzte. “Ach, es bringt ja doch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Am besten, ich stürze mich einfach ins kalte Wasser und lerne zu schwimmen.”
Margrit lächelte strahlend. “Ja, das ist genau die richtige Einstellung. So gefällst du mir, Stina.”
Trotzdem war Stina ein wenig mulmig zumute, als sie zu Patrick hinaus auf die Veranda trat. Doch ein Blick hinaus auf den See entschädigte sie für alle ausgestandenen Ängste. Für einen Moment vergaß sie ihre Sorgen und genoss die atemberaubende Schönheit der Natur.
Vom kaltfeuchten Wetter des Vortags war nichts mehr zu spüren. Strahlend stand die Sonne am Himmel, und die schroffen Felswände, die das Tal umschlossen, wirkten im sanften Licht des beginnenden Tages weit weniger bedrohlich und abweisend, und Stina war entzückt, als sie auf der anderen Seite des Tales einen Wasserfall entdeckte, dessen Sprühnebel in allen Regenbogenfarben glitzerte.
Sie hatte ihm vertraut, geglaubt, dass er sie tatsächlich liebte. Doch jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie sich bitter in ihm getäuscht hatte. Er hatte sie die ganze Zeit über belogen und betrogen. Sie stand vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens und erkannte, dass alles, an das sie jemals geglaubt hatte, nichts weiter als eine grausame Lüge gewesen war …
“Guten Morgen.”
Erst jetzt wurde Stina sich Patricks Anwesenheit wieder bewusst. Sie blinzelte irritiert und ärgerte sich im selben Augenblick darüber, dass sie sich sofort wieder befangen fühlte. “
Hej
, Patrick”, murmelte sie und suchte sich als Sitzplatz den Stuhl aus, der am weitesten von ihm entfernt stand.
Patrick gab vor, ihr offensichtliches Unbehagen nicht zu bemerken. Sorgfältig legte er die Ausgabe des
Dagbladet
zusammen, in der er gelesen hatte, und gab Stina somit genug Zeit, sich zu fangen. “Ich hoffe, du hattest eine gute erste Nacht. Ist das Schlafzimmer so okay für dich? Benötigst du noch irgendetwas?”
Rasch schüttelte sie den Kopf. “Nein, vielen Dank, ich bin bestens versorgt.”
Doch in Wahrheit fühlte Stina sich alles andere als wohl. Schon jetzt wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie war nie der Typ Frau gewesen, der rasch mit Fremden ins Gespräch kam, und nichts anderes war Patrick in ihren Augen. Sofort begann sie sich wieder zu fragen, was die Zukunft bringen würde.
“Sag mal, hast du vielleicht Lust, nachher mit mir einen kleinen Spaziergang zu unternehmen? Ich würde dir gerne ein bisschen die Umgebung zeigen.”
Stina atmete tief durch, schließlich nickte sie. “Ja, das ist eine gute Idee, ich würde mich wirklich sehr freuen.”
In blassgoldenen Sprenkeln fiel Sonnenlicht durch das Blätterdach der Bäume und zeichnete asymmetrische Muster auf den weichen Waldboden. Links des Weges öffnete sich der Wald und gab den Blick frei auf den See, dessen Oberfläche geheimnisvoll funkelte.
Es war eine große Überraschung für Patrick gewesen, dass Stina seinem Vorschlag, einen Spaziergang zu unternehmen, so spontan zugestimmt hatte. Hatte ihn sein Eindruck, dass sie sich in seiner Nähe irgendwie unwohl fühlte, doch getäuscht? Nun, jedenfalls war er davon überzeugt gewesen, dass ein Ausflug in die Natur genau das Richtige war, um die angespannte Atmosphäre ein wenig aufzulockern. Ein Trugschluss, wie er mittlerweile herausgefunden hatte.
Je mehr er sich
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