Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
so verletzt, so gedemütigt gefühlt. Sie wollte schreien, doch ihrer Kehle entrang sich nur ein heiseres Krächzen. Immer wieder stiegen diese entsetzlichen Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Sosehr sie sich auch bemühte, sie zu verdrängen, es wollte ihr einfach nicht gelingen.
Noch schlimmer als das waren die Worte, die wie ein endloses Echo in ihrem Kopf widerhallten. Worte, die ihr endgültig brutal klar machten, dass die Ehe, die sie all die vergangenen Jahre geführt hatte, lediglich auf einer Lüge basierte.
Verzweifelt schlug Stina die Hände vors Gesicht und sank auf die Knie.
Stina taumelte. Benommen griff sie sich an die Stirn.
Wieder war es wie ein Erwachen aus tiefer Bewusstlosigkeit. Es konnte nur wenige Sekunden gedauert haben, doch Stina fühlte sich wie ausgelaugt.
“Ist alles in Ordnung mit dir?”
Sie spürte Patricks besorgten Blick auf sich ruhen und nickte hastig – ein Fehler, denn sofort stieg ein heftiges Schwindelgefühl in ihr auf. “Ich … ich bin schon okay. Ich muss mich nur ganz kurz hinsetzen.”
Patrick half ihr, auf einem umgestürzten Baumstamm Platz zu nehmen. Zutiefst erschüttert barg sie das Gesicht in den Händen. Hinter ihren Schläfen pochte es so heftig, dass sie das Gefühl hatte, ihr Schädel müsse jeden Augenblick zerspringen. Was war bloß mit ihr los? In dem einen Moment war sie noch gemeinsam mit Patrick am Ufer des Sees entlangspaziert, im nächsten war die Hölle losgebrochen.
War es ein Traum gewesen? Stina glaubte es nicht. Sie war sich beinahe sicher, dass sie genau diese Szene vor nicht allzu langer Zeit erlebt hatte. Das Gefühl schrecklicher Verzweiflung hallte noch immer dumpf in ihr wider. Wie war es dazu gekommen? Warum war sie bloß so furchtbar unglücklich gewesen?
“Worüber denkst du nach? Was ist geschehen?”
Sie zögerte zunächst, doch dann fasste sie sich ein Herz. “Patrick, wie war unsere Ehe? Waren wir … ich meine, waren wir glücklich miteinander?”
Seine Miene verriet nichts, lediglich ein Muskel zuckte auf seiner Wange. “Nun, es gibt Leute, die behaupten, dass wir ein echtes Traumpaar sind”, erklärte er ruhig. “Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass ich ohne dich nicht mehr leben will.” Er hielt kurz inne und atmete tief durch, ehe er hinzufügte: “Und daran hat sich bis heute nichts geändert.”
Stina spürte deutlich, dass er es ehrlich meinte. Aber wie passte das mit den Bildern zusammen, die eben vor ihrem inneren Auge erschienen waren? Krampfhaft versuchte sie, sich erneut zu erinnern. Doch es funktionierte nicht. Je mehr sie sich dazu zwingen wollte, umso weiter entglitt ihr alles. Frustriert musste sie sich eingestehen, dass sie lediglich diese kurzen, völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Szenen besaß, die von ihrer Vergangenheit übrig geblieben waren.
Doch vielleicht waren es auch die ersten Vorboten für ihr langsam zurückkehrendes Gedächtnis. Stina wagte kaum, darauf zu hoffen. Es gab nichts auf der Welt, das sie sich sehnlicher wünschte. Denn gemeinsam mit ihren Erinnerungen würde sie auch einen großen Teil ihres Lebens zurückgewinnen.
“Setz dich nicht unter Druck”, sagte Patrick, der zu spüren schien, was in ihr vorging. “Ich habe mich lange und ausgiebig mit Dr. Magnusson unterhalten, ehe wir hergefahren sind. Was du jetzt wirklich brauchst, ist Zeit, um wieder zu dir selbst zu finden. Wenn du versuchst, dich dazu zu zwingen, wirst du nur das Gegenteil erreichen.”
Frustriert schüttelte Stina den Kopf. “Ach, wenn das so einfach wäre. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, sich ständig zu fragen, wer man eigentlich ist? Mir sind acht Jahre meines Lebens verloren gegangen. Wichtige Jahre! Und alle erwarten von mir, dass ich einfach dasitze und hoffe, dass sich früher oder später alles von alleine regelt.” Zum ersten Mal, seit sie wieder gemeinsam in dem idyllischen Haus am See lebten, schaute Stina ihm direkt in die Augen. “Sag mir ehrlich, könntest du das?”
“Wahrscheinlich nicht”, gab Patrick zu, und der gequälte Klang seiner Stimme verriet mehr als alle Worte.
Stina seufzte. “Hör mal, es tut mir leid. Vielleicht hast du ja recht, und ich sollte mich wirklich entspannen und die Dinge auf mich zukommen lassen. Vergiss einfach, was ich gerade gesagt habe, in Ordnung?”
“Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist für uns beide nicht einfach, aber ich bin sicher, dass wir das hinbekommen.” Er lächelte schwach. “Immerhin
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