Das Haus auf der Brücke
um die Bildung des kleinen Bruders kümmerte. Ich blieb oben in meinem Zimmer. Es war gescheiter zu warten, bis Vater kam.
Er war auch noch keine Viertelstunde daheim, da klopfte er.
»Herein«, rief ich.
»Na«, sagte Vater, »immer noch bei der Arbeit?«
»Ja.«
Vater setzte sich und schwieg eine Weile, dann sagte er: »Also, schieß los, wie war das mit den Totengerippen?«
»Ganz einfach. Bero hat sich Bücher angesehen und dann das Bild entdeckt.« Ich zeigte es ihm.
»Aha.«
»Und er hat schon zu Mittag immer nur von Knochen geredet, und ich hab’ ihm ein Schwein ohne Fleisch zeichnen müssen, und einen Fisch. Und eine Kuh wollte er auch gezeichnet haben.«
»Was der Kerl bloß mit seinen Knochen hat«, sagte Vater. »Wie ging’s weiter?«
»Er wollte wissen, was das für ein Gerippe ist. Da hab’ ich’s ihm erklärt.«
»Und?«
»Dann wollte er wissen, ob wir alle auch einmal so aussehen. Da hab’ ich ja gesagt. Oder stimmt’s nicht?«
»Natürlich stimmt’s, Manfred. Und wie ging’s weiter?«
»Dann wollte er wissen, ob wir auch so fotografiert werden. Da hab’ ich zuerst nein gesagt, da merkte ich, daß er wollte, daß wir so fotografiert werden, da hab’ ich >vielleicht< gesagt.«
»Wir kennen ihn ja.«
»Und dann wollte er noch wissen, ob wir auch in so ein Buch kommen, und da ich wußte, daß er heult, wenn ich nein sage, hab’ ich gesagt, er kommt bestimmt in ein Buch.«
»Und was hat er da gesagt?«
»>Fein< hat er gesagt.«
Vater lächelte. »Bero wollte Oma bestimmt eine Freude machen, als er sagte, sie käme auch als Totengerippe in ein Buch. Er findet es bestimmt toll.« Vater saß da und starrte vor sich hin. »Ist doch eigentümlich«, sprach er weiter, »ich meine, wie verschieden Kinder sind. Keines von euch hat sich so für Knochen interessiert wie er. Und es gibt noch eine ganze Reihe von Unterschieden. Aber was findet er an den Knochen?«
»Es interessiert ihn halt.«
»Möglich«, sagte Vater, »ich hab’ als Kind immer wissen wollen, wie die Leute unter den Kleidern aussehen, nun, das weiß er. Nun möchte er halt wissen, wie sie unter der Haut aussehen. Hoffentlich bringe ich das der Oma bei.«
Er stand noch etwas im Zimmer, als überlege er oder als habe er etwas sagen wollen, aber vergessen, was. Dann aber kam er zu mir und legte die Hand auf meine Schulter. Er drückte mich an sich.
»Man soll sich nicht davor fürchten«, sagte er, »aber schön ist’s doch, daß wir noch ein bißchen Zeit haben, bis wir soweit sind wie der Steinzeitmensch in deinem Buch.«
Man soll es nicht glauben, wie schnell die Zeit in einem Haus auf der Brücke vergeht. Das macht das fließende Wasser unter dem Haus, auf dem schwimmt die Zeit schneller davon.
Die Ferien kommen viel rascher, wenn man in einem Haus auf der Brücke wohnt. Und sie dauern auch länger.
Ich wache davon auf, daß die Forellen schnalzen. So etwas muß man gehört haben. Sie springen aus dem Wasser und schnalzen, manchmal klingt es, als würden sie in die Hände klatschen, oder in die Flossen. Jedenfalls wache ich davon auf.
Im Haus ist’s noch still, nur der Bach murmelt. Ich setze mich auf, gähne, das heißt, ich stoße verbrauchte Luft aus meinem Körper und atme frische, sauerstoffreiche Luft ein. Dann schleiche ich die Treppe hinunter, öffne die Türen im Wohnzimmer, denn der jüngste Sohn des Bauern hat diese Woche Frühdienst. Er kommt dann auch bald mit seinem Flüstermoped, grüßt und fährt durch.
Einen Morgen in unserem Haus auf der Brücke muß man erlebt haben.
Am Waldrand stehen vier Rehe und schütteln darüber den Kopf, daß auf der Brücke nun ein Haus steht. Im Ahorn klettern die Eichhörnchen, im Strauchwerk ist der Fasan mit seinen Hennen. Und heute entdecke ich bei der Scheune zur Stadt hin ein Auto mit einem Wohnwagen.
Ich hab’ das eigentlich noch nie so richtig geschildert. Zwischen unserer Brücke und der Stadt liegt ein kleiner Berg. Er hat einen ganz poetischen Namen. Er heißt Sauberg, weil es hier einmal Wildschweine gegeben haben soll. Und auf unserer Seite des Saubergs ist ein kleiner, aufgelassener Steinbruch, der macht die Umgebung ein bißchen romantischer. Vielleicht hatte sich der Fahrer mit seinem Wohnwagen deshalb dorthin gestellt. Die kleine Wiese unter dem aufgelassenen Steinbruch ist übrigens sehr windgeschützt, sie gehört uns, und man kann dort schon im März in der Sonne liegen, weil der Sauberg die kalten Nordwinde abhält.
Ja, also ich gehe
Weitere Kostenlose Bücher