Das Haus auf der Brücke
erschlägt uns glatt mit der Schreibmaschine.«
»Angriff ist die beste Art der Verteidigung«, sagte ich.
»Du willst doch nicht hinaus zu diesem Ungeheuer?«
»Nein. Komm, schalte schnell das Licht am Hauseingang an, und dann alle Lampen hier im Wohnzimmer.«
Sie tat wie geheißen, und ich sah, wie der Mann auf dem Weg zu unserem Haus zusammenzuckte, aber dann schneller auf unser Haus zukam. Jetzt gab’s nur eins, ich lief zur Tür, riß sie auf und sagte ziemlich barsch: »Sie wünschen?«
»Gott sei Dank«, sagte Herr Engel. »Ich war auf dem Weg hierher, da ging das Licht aus, und ich überlegte, ob ich noch weitergehen sollte, aber da Sie jetzt Licht machen... Wir hatten nämlich kein Trinkwasser mehr. Entschuldigen Sie, das wird nicht mehr Vorkommen, aber meine Frau hätte so gerne noch eine Tasse Tee gehabt.«
Jetzt war auch Mutti hinter mir und preßte mich an sich. Sicherlich wollte sie mit mir gemeinsam sterben. »Gestatten, Engel«, sagte da Herr Engel. »Engel ohne Erz, Engel wie Teufel, wenn Sie so wollen. Ich habe den Namen ziemlich billig von meinem Vater bekommen, darum verwende ich ihn, obwohl man immer wieder blöde Witze darüber reißt. Das fing in der Schule an, und das hört im Amt nicht auf. Da hören Sie schon manchmal alle Engel singen.«
»Im Amt?« fragte meine Mutter, ihrer Stimme kaum mächtig.
»Ja, ich bin Richter, falls Sie erlauben. Ich höre, wir haben Berührungspunkte.«
»Wir? Wieso?«
»Sie übersetzen Krimis ins Deutsche.«
»Von wem hören Sie das?«
»Bero, das schlaue Kind, sagte ähnliches, falls ich recht verstand. Er fragte uns nämlich, ob wir Mörder seien.«
»Bero?«
»Ja. Er meinte, falls wir Mörder seien, sollten wir ab- hauen, weil Sie in der Schreibmaschine einen Revolver hätten.«
»Jetzt fängt der auch schon an!« jammerte Mutti. »Und wer hat bereits begonnen?«
»Ach, der da«, sagte sie und wies auf mich. »Und ich selbst auch, wir haben leider alle ein bißchen viel Phantasie. Und ich, ich übersetze gerade...«
»Sag’s nicht«, warnte ich Mutti.
»Ach, laß doch, ich übersetze gerade ein Buch >Der Mörder mit dem Wohnwagen<, und da... Dieser Mann, ich meine, er stellt sich immer in die Nähe einzelner Häuser, naja, und dann...«
»Dann murkst er die einzelstehenden Hausbesitzer ab. Wie schrecklich! Nun, ich, falls Sie das beruhigt, habe nichts dergleichen im Sinn.«
Wir hörten plötzlich Schritte hinter dem Herrn Engel, er fuhr herum, aber es war nur Mäxchen, seine Frau. »Ich krieg’s langsam mit der Angst zu tun«, sagte Frau Engel, »wo bleibst du denn so lange?«
»Wir unterhielten uns gerade über einen Mörder mit Wohnwagen«, erklärte Herr Engel.
»Um Gottes willen, vor dem Schlafengehen!«
»Wollen Sie vielleicht den Tee bei uns trinken?« fragte nun meine Mutter.
»Wenn wir nicht stören.«
»Und Petra? Wenn sie aufwacht?«
»Ach, die schläft doch fest. Wir halten Sie bestimmt nicht lange auf«, versprach da Herr Engel.
Und dann saßen wir noch zwei Stunden beim Tee, und ich sah öfter zum Wohnwagen.
Aber Petra schlief fest in ihrem Bett.
Wie ein Engel.
Der Sommer ging dem Ende zu, in den Schaufenstern der Papiergeschäfte tauchten wieder die Schulhefte auf, und Petra bekam einen etwas leidenden Zug um den Mund.
Wir hockten auf einem Felsbrocken am Ufer und fütterten die Forellen, da sagte sie es: »Das waren meine schönsten Ferien.«
Ich nickte. Auch für mich waren es die schönsten Ferien gewesen. Und das machte nicht nur das Haus auf der Brücke.
»Ich meine nicht nur diesen schönen, sauberen Bach hier«, erklärte sie.
»Ich weiß«, sagte ich.
»Und es war auch nicht der Sauberg, und die Rehe am Morgen, und euer Haus auf der Brücke, und die Kühe, wenn sie durchs Wohnzimmer gingen...«
»Das Kalb, das sich in die Küche verirrte«, sagte ich, »und vor dem Kühlschrank lag, daß wir die Limo nicht herausholen konnten. Das war vielleicht ein Bild!«
»Wenn ich das bei uns daheim erzähle«, rief Petra, »es glaubt mir kein Mensch.«
»Ich werde auch Schwierigkeiten in der Schule haben, wenn ich’s erzähle.«
Sie fuhr herum.
»Warum?«
»Weil es mir niemand glauben wird.«
»Was?«
»Daß die Ferien so schön waren.«
»Was wirst du in der Schule erzählen?« fragte sie.
»Och«, sagte ich, »nichts Besonderes. Ich würde gar nichts Genaues erzählen. Ich würde nur sagen: >Eines Tages, ich machte gerade die Tür auf, um die Kühe durchzulassen, da stand ein Wohnwagen in unserer
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