Das Haus auf der Brücke
Frau, und sie sagte: »Ja.«
»Ja, also«, begann Herr Engel, »wenn du’s vielleicht deinen Eltern sagen wolltest, wir haben beschlossen, hier zu bleiben. Es ist doch sehr hübsch hier. Und der Baggersee fast ohne Leute. — Und hier kommen auch kaum Leute vorbei.«
»Ich werde es Vater sagen«, versprach ich, nahm Bero bei der Hand, der wieder einmal anders wollte und sich am Wohnwagen festhielt.
»Du kannst ihn ruhig da lassen«, sagte Herr Engel. »Wir mögen solche hellen Knirpse. Wir fressen ihn schon nicht auf, nicht wahr, Mäxchen?«
»Nein«, sagte Mäxchen. »Wir wollten uns schon immer solch einen kleinen Knaben kaufen, gleich so in diesem Alter, aber im Kaufhaus sind sie immer schon weg, wenn wir kommen.«
Es war eine ganz schwierige Situation für mich. Ich konnte doch nicht zeigen, daß ich sie durchschaut hatte. Ich brauchte ein Pfand, eine Geisel, wenn ich Bero bei ihnen ließ. Ich sagte: »Petra, kommst du mit, du kannst gleich Trinkwasser holen.«
»Ja, geh mit«, sagte Mäxchen. »Wir wollen heute doch einen richtigen Eintopf kochen. Und da müßte jetzt das Fleisch ins Wasser.«
Wie sie nur Fleisch sagte!
Ich knipste das Licht in meinem Zimmer aus und öffnete vorsichtig das Fenster.
Unten rauschte der Bach, im Wohnzimmer klapperte die Schreibmaschine. Manchmal prasselten die Buchstaben wie verrückt auf die Walze, dann war es wieder ganz still. Im Wohnwagen war hinter dem Vorhang im Heckfenster noch Licht.
Mir klapperten die Zähne, obwohl es gar nicht so kalt war. Im nahen Wald schrie ein Käuzchen, oder war es nur das Signal eines Komplizen?
Da! Die Tür des Wohnwagens ging auf, und eine Gestalt mit Hosen drückte sich hinaus ins Dunkel. War das nun der Mann oder Mäxchen, die Frau? Sicher hatten sie Petra Schlaftabletten gegeben, daß sie nicht merkte, was geschah.
Jetzt glomm die Glut einer Zigarette im Gesicht der dunklen Gestalt auf. Ein Signal!
Mensch, und unten saß Mutti ahnungslos und hatte vielleicht nicht einmal die Fensterläden geschlossen. Sie war eine Zielscheibe für jeden, der sie erschießen wollte.
Ich schloß mein Fenster lautlos und lief dann zur Treppe.
»Mutti!« rief ich. »Psst!«
Mutti traf fast der Schlag. Sie stieß einen Schrei aus und flatterte vor Schreck mit den Händen.
»Psst!« machte ich noch einmal. »Tu so, als ob du weiter schreibst. Er steht draußen genau zwischen dem Wohnwagen und unserem Haus.«
»Oh, Gott, vielleicht ist er auch schon näher gekommen«, rief sie.
»Hast du die Fensterläden zu?«
»Um Gottes willen, n — nein!«
»Ganz ruhig«, sagte ich. »Bleib ganz ruhig. Tu so, als ob du gähnen würdest, dann steh auf und lösch das Licht. Aber ganz ruhig. Dann komm’ ich zu dir.«
»Weck vielleicht Papa auf«, schlug Mama vor.
»Nein, nein, das mach’ ich schon.«
Jetzt drehte sie das Licht aus, und ich raste die Treppe hinunter zu ihr. »Komm«, sagte ich, »sei ganz ruhig.«
— Ich legte den Arm um ihre Schultern, was sie sehr beruhigte. »Komm, jetzt ist ja alles gut, wir müssen sehen, was er macht.«
Wir schoben den Vorhang etwas zur Seite. Da! Er gab noch immer Signale mit seiner Zigarette.
»Und du hast Paps noch gesagt, er soll sie bitten, zu bleiben, so ein Unsinn.«
»Sei ruhig jetzt, heute morgen wußte ich etwas noch nicht. Wenn ich das gewußt hätte, dann hätte ich Papa bestimmt nicht gebeten.«
»Was denn?«
»Sie hatten ein blutiges Tuch dabei. Petra hat’s im Bach gewaschen...«
»Blut?« fragte Mutti. »Oh...«
»Ja, ich hab’s gesehen. Petra ahnte nichts, sie sagte, es sei Kirschensaft. Der Bach hat sich ganz rot gefärbt.«
»Unser Bach.« Mutter schüttelte sich.
»Es war ja unterhalb der Brücke«, beruhigte ich sie. »Das Blut ist nicht unter unserem Haus durch. Wie bringt denn der Wohnwagenmann seine Opfer um?« fragte ich dann.
»Er parkt immer bei einzeln stehenden Häusern, erschleicht sich das Vertrauen der Bewohner, und dann legt er los.«
»Mit dem Messer oder mit der Pistole?«
»Er hat keine Waffe bei sich, die würde ihn ja verraten. Er verwendet immer einen Gegenstand, den er im Haus des Opfers findet.«
In mir stieg die kalte Angst hoch. Mir war, als stünde ich bis in die Hüftgegend in Eiswürfelchen.
»Kommt er jetzt nicht näher?« fragte Mutti. Tatsächlich! Er kam Schritt für Schritt an das Haus heran. Ganz langsam. Schritt für Schritt. Man hörte seine Füße schon über den sandigen Weg schleifen. »Was sollen wir tun?« fragte Mutti verzweifelt. »Er
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